Lynne Graham
müssen.“
„Bitte, hör auf zu weinen“, sagte Sergio und machte einen weiteren Schritt auf sie zu. „Anscheinend muss ich dir meine Familiengeschichte erzählen.“ Er strich sich über die Stirn, bevor er fortfuhr: „Meine Mutter starb, als ich acht Jahre alt war. Fünf Jahre später heiratete mein Vater seine Geliebte Cecilia, mit der er bereits einen zehnjährigen Sohn hatte: Abramo. Leider entsprach die Ehe mit einem sehr viel älteren Mann nicht Cecilias Erwartungen, und sie nahm sich eine ganze Reihe von Liebhabern.“ Sergios Gesicht verfinsterte sich. „Als mein Vater an Krebs erkrankte, begann Cecilia eine Affäre mit Umberto Tessano, dem Anwalt der Familie. Er war der engste Freund meines Vaters und vertrat die Interessen der Familie.“
Kathy zuckte zusammen. „Wie alt warst du da?“
„Einundzwanzig, es war mein erstes Jahr an der Universität in Oxford. Eines Tages ertappte ich meine Stiefmutter zusammen mit Tessano im Bett in unserem Apartment in London. Mir blieb keine andere Wahl, als meinem Vater davon zu erzählen, aber die anderen beiden waren schneller.“ Sergio lachte bitter auf und verstummte.
Als das Schweigen andauerte, fragte Kathy leise: „Und was haben sie erzählt?“
„Dass ich seit einiger Zeit mit meiner Stiefmutter flirte und sie ständig belästige …“
„Oh nein!“ Kathy verzog das Gesicht.
„… und dass ich an jenem Abend betrunken war und regelrecht über sie hergefallen sei, bis Tessano sie aus meinen Fängen errettete.“
„Aber dein Vater hat diesen Unsinn doch sicherlich nicht geglaubt?“
„Als sein bester Freund ihm diese schäbige Geschichte in allen Teilen bestätigte, hatte ich keine Chance“, stieß Sergio heftig hervor. „Ich galt als Playboy, und Cecilia sah immer noch gut aus. Ich mache meinem Vater keinen Vorwurf, denn er war ein kranker Mann, und er liebte seine Frau. Er lag im Sterben, wovon ich jedoch nichts wusste. Kurz vor seinem Tod enterbte er mich auf Tessanos Anraten hin. Cecilia und Abramo bekamen alles. Drei Monate nach der Beerdigung heiratete meine Stiefmutter Umberto Tessano.“
Seine Geschichte riss Kathy aus ihrem Selbstmitleid. Sergio und Abramo waren durch weit schrecklichere Ereignisse auseinandergerissen worden, als sie es sich in ihrer Unschuld vorgestellt hatte. „Es muss ein Albtraum für dich gewesen sein, als dein Vater sich gegen dich stellte.“
„Ich war am Boden zerstört.“ Ein Muskel zuckte in seiner Wange. „Noch auf dem Sterbebett glaubte er ihren Lügen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Leben es gut mit mir gemeint. Als Erbe der Weingüter von Azzarini wuchs ich auf wie ein kleiner Prinz. Und dann wurde mir alles genommen.“
In einer raschen Bewegung stand Kathy auf und ergriff seine Hände. Sie wusste nur zu gut, wie sehr die Verurteilung und Zurückweisung durch einen nahestehenden Menschen Sergio verletzt haben musste. Liebevoll betrachtete sie seine harten Gesichtszüge. „Du hättest es mir schon längst erzählen sollen. Aber du machst ja nie den Mund auf.“ Sie zögerte, als ihr einfiel, dass er noch kein Wort über Grazias Rolle in dieser Geschichte verloren hatte. Sie wurde verlegen und ließ in einer plötzlichen Bewegung seine Hände los.
„Das kann sich ändern, dolcezza mia.“ Sergio umschloss ihre zarten Handgelenke.
Unsicher schaute Kathy ihn an. Sie war hin- und hergerissen zwischen glühender Anziehungskraft und dem Bedürfnis, sich vor weiteren Schmerzen und Enttäuschungen zu schützen. „Ich weiß, dass du dich großartig findest …“
„… bis du auftauchtest und ich es irgendwie nie schaffte, auch nur deine geringsten Erwartungen zu erfüllen“, unterbrach Sergio sie.
„Musstest du mir unbedingt so deutlich sagen, dass du Hochzeiten schrecklich findest? Was glaubst du, wie ich mich jetzt fühle?“, fragte Kathy anklagend. Sie riss sich los, trat ein paar Schritte zurück und kam dann doch wieder zu ihm.
„Ich bin ein selbstsüchtiger Bastard. Aber glaub mir, ich wollte dir nicht wehtun. Grazia hat mich vor dem Altar abblitzen lassen.“
Schockiert starrte Kathy ihn an.
„Nur meine engsten Freunde wissen davon. Mein Vater war erst vor Kurzem gestorben, und wir wollten in aller Stille in London heiraten. Aber sie tauchte gar nicht erst auf.“ Ein nachdenklicher Ausdruck war in seine Augen getreten. „Mach nicht so ein überraschtes Gesicht. Grazia war ein Luxus, den ich mir nicht länger leisten konnte.“
Kathy bohrte die Nägel in die Handflächen,
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