Lyon - A.M.O.R. 01
Jahrhunderte streng geheim gehalten? Niemand argwöhnte dergleichen. Oder?
Er wusste bis ins kleinste Detail, wie ein Amorph beschaffen war, wo die wenigen Schwachstellen lagen, falls es zu einem Kampf kam, wie ihr Körper und Geist arbeitete, welche Wunder der Natur sie darstellten. Und natürlich, wo sich ihr zweites Herz, das Amorphenherz, versteckt hielt. Für seinen eig e nen Korpus hatte er sich nie interessiert. Er war da und funktionierte jederzeit einwandfrei. Wozu sich Gedanken machen, wenn man nie krank wurde und die eigene Magie ausreichte, um die schlimmsten Wunden zu heilen – bis die Kräfte eines Tages anfingen, nachzulassen.
Zymon-Ki hielt sich die gefalteten Hände vor den Mund. Das streng gehe i me Mittel, mit dem sie Amorphen töteten, war vielleicht weiterentwickelt wo r den und nun in einer neuen Variante dazu ausgelegt, auch Magycen zu elim i nieren. Was auch immer das bedeutete, er besaß nun Kenntnis davon.
In einem absoluten Gefühlschaos gefangen raste Adina nach New York. Ve r druss und Hilflosigkeit, Verachtung und Angst, alles wirbelte wild durcheina n der wie in einem Mixer und als Krönung des Ganzen gab sicher der griech i sche Gott Himeros noch eine Prise Sehnsucht hinzu. Die passende Würzung für ihr Henkersmahl. Es kam einem Wunder gleich, mit der Yamaha ohne e i nen weiteren Kratzer Emanuels Garage zu erreichen.
Vollkommen verspannt und fertig mit sich und der Welt verriegelte sie das Badezimmer und entkleidete sich. Als sie den Pullover über den Kopf zog, hielt sie den blutdurchtränkten Kragen von ihrem Gesicht fern. Der Biss ihres Priors Laughlin kam ihr vor wie aus einem anderen Leben. Was ja auch i r gendwie stimmte. Sie hatte ihr bisheriges Leben verloren. Angewidert warf sie ihn auf die Fliesen. Zu stürmisch drangen die Gedankenfetzen auf sie ein, führten ihr vehement vor Augen, was ihr einstiger Ziehvater getan hatte.
Adina stieg in die Duschkabine und stellte sich unter das heiße Wasser. Der harte Strahl massierte ihren steifen Nacken und die Schultern. Mit geschloss e nen Lidern legte sie ihr Kinn auf die Brust, versuchte, Verspannung und Furcht von sich zu spülen . Doch ihr Handgelenk pochte geschwollen, ließ sie gar nicht erst in die Nähe einer Relaxation gleiten. Beim Abseifen b e merkte sie Druckstellen, an denen Lyons Finger zu fest zugepackt hatten.
„Scheißkerl“, murmelte sie, allerdings waren es andere Dinge, die sie ihm vorwarf. Obwohl sie ihm zugestehen musste, sie immerhin gewarnt zu haben, er hatte sich mehrfach zurückgezogen, sowie er drohte, die Beherrschung zu verlieren. Lyon hatte ihr unmissverständlich klargemacht, er sei ein wildes W e sen, das ihr wehtun konnte … würde. Dennoch. Sie hatte ihn gewollt und ihn verführt. Nein, auch nicht wahr, sie hatten es beide gewollt. Trotzdem blieb er ein Scheißkerl. Verwirrte sie mit seinem widersprüchlichen Handeln, schon mit seiner bloßen Existenz, seiner Anziehungskraft und einer apokalyptischen Z u kunftsvision. Hatte sie überhaupt eine Wahl, außer alles über sich ergehen zu lassen?
Lyon, ein Mann aus Träumen und Albträumen. Was, wenn sie unter Dr o geneinfluss stand, sich vieles im Wahn eingebildet oder ersehnt hatte? Vie l leicht litt sie doch unter einer Psychose. Ihre geschärften Sinne deuteten nicht zwangsläufig auf eine Wandlung zum … Vampir hin. Sie verdrehte die Augen, knetete Schaum in ihr dichtes Haar. Ihr Verstand suchte zum wiederholten Mal nach einem Rettungsanker, einer einleuchtenden Erklärung für die Situat i on und endlich einem Ausweg aus der Zwangslage. Keiner fragte, ob sie sich verwandeln wollte, ob sie bereit war, ihr Leben aufzugeben, im Ort der nach Schwefel stinkenden Verdammnis abzutauchen. Ausgerechnet Lyon begegnete ihr zufällig oder auch nicht zufällig, um ihr die erfreuliche Botschaft zu übe r bringen. Es gab sicherlich noch andere Amorphen, die diese Aufgabe feinfü h liger bewältigt hätten.
Ein zarter Hauch überfuhr ihre nackte Haut, die Härchen stellten sich auf. Trotz des Vanillegeruchs des Shampoos nahm sie den extravaganten und u r sprünglichen Duft mit allen Sinnen wahr. Sie schlug die Lider nieder, sah seine nachtschwarzen Augen vor sich. Die Farbe der Iris unterschied sich nicht von den Pupillen, verlieh ihnen eine entwaffnende Anziehungskraft, eine Faszinat i on, die sie niemals zuvor erlebt hatte. Sie bannten, absorbierten ihr Gegenüber regelrecht, verführten dazu, einen Blick in seine Seele zu werfen. Zogen ka
Weitere Kostenlose Bücher