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Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse

Titel: Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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Wieder dieser unüberhörbare Anflug von Eigensinn! Bei seiner Antwort legte er Heiterkeit in seine Stimme: »Das will ich auch nicht hoffen! Du bist schließlich noch ein Kind! Doch bist du keineswegs zu jung, als daß du dir nicht deines Standes bewußt sein solltest. Verstehst du das Wort ›Diplomatie‹?«
    »Nein, Vater.«
    »Es bedeutet: Umgang mit anderen Ländern. Diplomatie ist ein schwieriges, kitzliges Spiel, wie ein Tanz. Troicinet, Dahaut, Lyonesse, die Ska und die Kelten, alle in Pirouetten, alle bereit, sich zu einer Dreier- oder Vierergruppe zu verbünden und den Draußengebliebenen den Todesstoß zu versetzen. Ich muß sicherstellen, daß Lyonesse nicht von der Quadrille ausgeschlossen wird. Verstehst du, was ich meine?«
    Suldrun überlegte. »Ich glaube, ja. Ich bin froh, daß ich an einem solchen Tanze nicht teilzunehmen brauche.«
    Casmir trat stirnrunzelnd einen Schritt zurück. Er bezweifelte, daß sie den Sinn dessen, was er gesagt hatte, wirklich erfaßt hatte. Er erwiderte knapp: »Das wäre alles. Und nun ab mit dir in deine Gemächer! Ich werde mit Lady Desdea sprechen. Sie wird dafür sorgen, daß du geeignete Spielgefährten bekommst.«
    Suldrun wollte erwidern, daß sie keine neuen Gefährten brauchte, aber nach einem kurzen Blick in Casmirs Gesicht zog sie es vor, den Mund zu halten und zu gehen.
    Um König Casmirs Geheiß auch exakt und im getreuen Wortsinn Folge zu leisten, stieg Suldrun zu ihren Gemächern im Ostturm hinauf. Dame Maugelin saß schnarchend auf einem Stuhl; ihr Kopf war nach hinten gefallen.
    Suldrun schaute aus dem Fenster. Es regnete immer noch. Sie dachte einen Moment nach, dann schlüpfte sie an Dame Maugelin vorbei in ihr Anklei-degemach und vertauschte ihr Kleid gegen einen Kittel aus dunkelgrünem Linnen. Mit einem letzten vergewissernden Blick über die Schulter auf Dame Maugelin verließ sie ihre Gemächer. Sie hatte König Casmirs Geheiß wortgetreu befolgt. Sollte er sie zufällig sehen, so konnte sie das anhand ihres Kittels beweisen.
    Zaghaft, behutsam Fuß vor Fuß setzend, stieg sie die Treppe zum Oktagon hinunter. Dort angekommen, blieb sie stehen, sah sich um und lauschte. Die Galerie war leer, kein Laut war zu hören. Sie wanderte durch einen verzauberten Palast, wo alles im Schlummer lag.
    Suldrun rannte zum Großen Palas. Das trüb-graue Licht, das durch die hohen Fenster sickerte, verlor sich in den Schatten. Lautlos huschte sie zu einem hohen, schmalen Portal in der langen Mauer. Sie warf einen raschen Blick über die Schulter. Ihre Mundwinkel zuckten. Mit einiger Anstrengung zog sie das schwere Tor auf und schlüpfte ins Ehrenhaus.
    Das Licht war wie im Großen Palas grau und trüb, was die düstere Feierlichkeit des Saales noch verstärkte. Wie immer standen vierundfünfzig hohe Stühle vor den Wänden, links und rechts gruppiert, und sie alle schienen voller Verachtung auf den Tisch zu starren, welcher zusammen mit vier geringeren Stühlen in der Mitte der Halle aufgestellt worden war.
    Suldrun betrachtete die Eindringlinge mit dem gleichen Mißfallen. Sie standen wie dreiste Störenfriede in dem freien Raum zwischen den hohen Stühlen und behinderten ihre stumme Verständigung untereinander. Warum tat jemand etwas so Plumpes? Zweifelsohne hing es mit dem Eintreffen der drei Granden zusammen. Der Gedanke ließ Suldrun jäh in ihrem Schritt innehalten. Sie beschloß, das Ehrenhaus auf der Stelle zu verlassen ... Aber es war zu spät. Von draußen drangen Stimmen herein. Suldrun erstarrte zur Statue. Dann lief sie unschlüssig hierhin und dorthin, und schließlich rannte sie in ihrer Verzweiflung hinter den Thron.
    In ihrem Rücken spürte sie das dunkelrote Banner. Durch den Schlitz schlüpfte sie in die dahinter verborgene Rumpelkammer. Sie vergrößerte den Schlitz ein wenig und spähte hindurch. Zwei Lakaien betraten die Halle. Heute trugen sie prachtvolle Zeremonienlivree: scharlachrote Puffhosen, lange, schwarz-rot gestreifte Strümpfe, schwarze Schuhe mit hochgebogenen, langen Spitzen und ockerfarbene Röcke, auf die das Emblem des Lebensbaums gestickt war. Sie schritten im Saal umher und zündeten die Wandleuchter an. Zwei weitere Lakaien trugen zwei schwere, schwarze Eisenkandelaber herein und stellten sie auf den Tisch. Die Kerzen, jede zwei Zoll dick und aus Lorbeerwachs geformt, wurden ebenfalls angezündet. Noch nie hatte Suldrun das Ehrenhaus in solch strahlendem Glanz gesehen.
    Sie begann, sich über sich selbst zu ärgern. Sie

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