Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
Liebenden sich zurückziehen und entkleiden, ist die Maske das letzte Kleidungsstück, dessen sie sich entledigen.«
»Und wer spielt die Musik?« fragte Scharis.
Aillas lauschte, desgleichen Garstang. »Ich höre keine Musik«, sagte Aillas.
»Ich auch nicht«, sagte Garstang.
»Sie ist sehr leise«, erklärte Lord Daldace. »Genau gesagt, vielleicht sogar unhörbar.« Er erhob sich. »Ich hoffe, ich habe eure Neugier befriedigt.«
»Nur ein Flegel würde mehr von Euch verlangen«, sagte Aillas. »Ihr wart mehr als höflich.«
»Ihr seid angenehme Gäste, und ich bedaure, daß ihr morgen weiterreisen müßt. Doch nun erwartet mich eine Dame. Sie ist neu in der Villa Meroë, und ich brenne darauf, mich ihrer Gesellschaft zu erfreuen.«
»Eine letzte Frage«, sagte Aillas. »Wenn neue Gäste eintreffen, müssen die alten gehen, ansonsten wäre bald jeder Saal, jedes Gemach von Meroë überfüllt. Wenn sie abreisen, wohin gehen sie dann?«
Lord Daldace lachte leise. »Wohin gehen die Gestalten aus Euren Träumen, wenn Ihr schließlich aufwacht?« Er verbeugte sich und ging.
Drei Mädchen blieben vor ihnen stehen. Eines sprach mit schelmischer Keckheit: »Warum sitzt ihr dort so ruhig? Ermangelt es uns an Liebreiz?«
Die drei Männer erhoben sich. Aillas sah sich einem schlanken Geschöpf mit hellblondem Haar und der Zartheit einer Blume gegenüber. Violettblaue Augen schauten ihn unter der Maske an. Aillas' Herz durchfuhr ein Stich, der gleichermaßen von Schmerz wie von Freude herrührte. Er setzte zu sprechen an, gebot sich jedoch im letzten Moment Einhalt. »Entschuldigt mich«, murmelte er. »Ich fühle mich nicht wohl.« Er wandte sich ab und sah, daß Garstang seinem Beispiel gefolgt war. »Es ist schier unmöglich«, flüsterte Garstang. »Sie ähnelt jemandem, der mir einst sehr teuer war.«
»Es sind Traumgestalten«, sagte Aillas. »Es ist sehr schwer, ihnen zu widerstehen. Ist Lord Daldace am Ende doch so aufrichtig?«
»Laß uns in unser Gemach zurückkehren. Ich mag keine Träume, die so real sind ... Wo ist Scharis?«
Von den Mädchen und Scharis war nichts mehr zu sehen. »Wir müssen ihn finden«, sagte Aillas. »Sein Naturell wird ihn verführen.«
Sie wanderten durch die Gemächer von Meroë, ohne den sanften Lichtern, den Faszinationen, den mit Delikatessen beladenen Tischen Beachtung zu schenken. Schließlich fanden sie Scharis in einem kleinen Hof, der sich zur Terrasse hin öffnete. Er saß zusammen mit vier anderen und blies versunken auf einer Hirtenflöte. Die anderen spielten auf verschiedenen anderen Instrumenten eine Musik von betörender Süße. Neben Scharis saß eine schlanke, dunkelhaarige Frau. Sie lehnte sich so nah an ihn, daß ihr Haar ihm über die Schulter fiel. In einer Hand hielt sie einen Kelch mit purpurfarbenem Wein. Sie nippte daran, und dann, als die Musik verstummte, bot sie Scharis davon an.
In seiner verzückten Geistesabwesenheit nahm Scharis den Kelch in die Hand und schickte sich an, davon zu trinken, doch Aillas lehnte sich über die Balustrade und entriß ihm den Kelch. »Scharis, was ist über dich gekommen? Komm mit, wir müssen schlafen gehen! Morgen lassen wir dieses Traumschloß hinter uns, es ist gefährlicher als alle Werwölfe von Tantrevalles zusammen!«
Scharis stand zögernd auf. Er schaute auf das Mädchen hinunter. »Ich muß gehen.«
Die drei kehrten schweigend in ihr Schlafgemach zurück, wo Aillas sagte: »Du hättest um ein Haar aus dem Kelch getrunken.«
»Ich weiß.«
»Hattest du vorher schon davon getrunken?«
»Nein.« Scharis zögerte. »Ich küßte jenes Mädchen, es ähnelt jemandem, den ich einst liebte. Es hatte zuvor Wein getrunken, und ein Tropfen hing noch an seinen Lippen. Ich konnte ihn schmecken.«
Aillas seufzte. »Dann muß ich zu Lord Daldace und ihn bitten, das Gegengift preiszugeben!«
Erneut begleitete ihn Garstang. Die zwei durchstreiften Meroë, doch konnten sie Lord Daldace nirgends finden.
Schon wurden die ersten Lichter gelöscht. Die zwei gingen in ihr Gemach zurück. Scharis schlief oder tat, als ob er schlafe.
Das Morgenlicht drang durch die hohen Fenster. Die sechs Männer standen auf und schauten sich mürrisch an. Aillas sagte benommen: »Der Tag hat begonnen. Laßt uns aufbrechen. Frühstücken können wir unterwegs.«
Am Tor standen die Pferde schon bereit. Der Torwächter war nirgends zu sehen. Da er nicht wußte, was er entdecken würde, wenn er zurückblickte, hielt Aillas den Blick
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