Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
Abendbrot.«
»Wartet bitte vorn, Herr«, sagte das Mädchen und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem brutzelnden Speck zu.
27
Der Camber-Fluß vereinigte sich auf seinem Weg zum Meer mit dem Murmeil zu einer breiten, dreißig Meilen langen Seemündung: dem Cambermund. Gezeiten, Strudel und Strömungen, Sandbänke, die, je nach den Wetterbedingungen auftauchten und wieder verschwanden, machten im Verein mit oft urplötzlich auftauchenden Nebelbänken die Navigation im Hafen von Avallon zu einem schwierigen Unterfangen.
Reisende, die sich Avallon von Süden her über den Icnield-Pfad näherten, mußten den Cambermund, der an diesem Punkt zweihundert Armlängen breit war, mit einer Fähre überqueren, die mit einer schweren Eisenkette an einem Rollkolben befestigt war, welcher über ein Hochkabel lief, das schräg über die Seemündung gespannt war. Auf der Südseite war das Kabel an der Spitze des Kogstein-Berges neben dem Leuchtturm befestigt. Auf der Nordseite endete es an einem steinernen Strebepfeiler am Scarp-Fluß. Das Kabel war dergestalt über die Seemündung gespannt, daß die Fähre von der Landestelle am Kogstein aus von der Flut über die Seemündung vorangetrieben wurde bis zu ihrem Anlegeplatz in Slange, unterhalb der Scarp-Mündung. Sechs Stunden später zog die Ebbe die Fähre dann wieder zurück zum Südufer.
Aillas und seine Gefährten erreichten, von Süden her über den Icnield-Pfad kommend, am späten Nachmittag den Kogstein. Auf dem Kamm des Kogsteins angekommen, hielten sie an und ließen ihre Blicke über das weite Panorama schweifen, das sich vor ihnen auftat: Der Cambermund zog sich in einer weit geschwungenen Kurve nach Westen bis zum Horizont; nach Osten öffnete sich die Seemündung trichterförmig zum Kantabrischen Golf.
Die Flut war im Kentern begriffen; die Fähre lag an der Anlagestelle am Kogstein. Schiffe, die einen günstigen anlandigen Wind fanden, segelten mit vollem Zeug in die Seemündung. Unter ihnen befand sich eine große Zweimastfeluke, die die troicische Flagge führte. Aillas und seine Gefährten konnten sehen, wie sie auf die Nordküste hielt und in Slange andockte. Die drei ritten den Pfad hinunter zur Landestelle, wo die Fähre auf das Einsetzen der Hochflut wartete.
Aillas zahlte die Maut für die Überfahrt, und die drei ritten an Bord der Fähre, eines schweren Prahms von fünfzig Fuß Länge und zwanzig Fuß Breite, wohlbeladen mit Wagen, Vieh, Hausierern und Bettlern, die auf dem Wege zum Markt waren. Außerdem befanden sich an Bord ein Dutzend Nonnen vom Kloster auf der Insel Whanish, auf Pilgerfahrt zum Heiligen Stein, den die Heilige Columba von Irland mitgebracht hatte. In Slange begab sich Aillas sofort zu der troicischen Feluke, Neuigkeiten aus der Heimat zu erfragen. Seine Freunde warteten in der Zwischenzeit. Er kam in einem Zustand tiefer Mutlosigkeit zurück. Er holte das Nimmerfehl hervor und schrie vor Enttäuschung auf, als es nach Norden zeigte.
»Ich weiß wahrlich nicht mehr weiter!« erklärte Aillas.
»Nun sprich schon«, drängte ihn Yane. »Was hast du an Neuigkeiten aus Troicinet in Erfahrung gebracht?«
»Sie sagen, König Ospero liege siech darnieder. Wenn er stirbt und ich nicht zur Stelle bin, dann wird Trewan zum König gekrönt – genau, wie er geplant hat ... Eigentlich müßte ich auf der Stelle nach Süden umkehren und reiten, so schnell ich kann, aber wie kann ich das, wenn ich doch meinen Sohn Dhrun im Norden weiß?«
Nach einem Moment des Überlegens sagte Cargus: »Du kannst ohnehin nicht eher nach Süden umkehren, als die Fähre dich wieder noch Kogstein übersetzt. Avallon liegt nur einen Stundenritt von hier nach Norden, und wer weiß, was wir dort finden?«
»Wer weiß? Laßt uns reiten!«
Die drei legten in scharfem Ritt die letzten Meilen des Icnield Pfades zwischen Slange und Avallon zurück und erreichten den Stadtrand auf einem Weg, der an der Allmende vorbeiführte. Ein großer Markt war dort gerade in vollem Gang, wenn auch die ersten Buden bereits abgebaut wurden. Am Rande der Allmende befragte Aillas das Nimmerfehl. Der Zahn zeigte nach Norden auf einen Punkt jenseits der Allmende. Aillas stieß einen gequälten Seufzer aus. »Er kann ebensogut draußen auf der Allmende sein wie hundert Meilen weiter nördlich oder irgendwo dazwischen. Heute abend suchen wir die Stadt bis zum Rande ab, morgen reite ich dann zurück nach Süden, so daß ich die Mittagsfähre rechtzeitig erreiche.«
»Das ist ein
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