Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
Herr?«
»Er erwartet uns.«
Der Kämmerer zog sich zurück.
Hinter einem der Fenster sah Shimrod einen Schatten. »Er beobachtet uns und lauscht«, teilte Shimrod den anderen mit. »Danach entscheidet er, in welcher Maske er uns entgegentritt.«
»Das Leben eines Zauberers ist schon seltsam«, bemerkte Cargus.
»Schämt er sich seines eigenen Gesichtes?« fragte Yane erstaunt.
»Nur wenige haben es je gesehen. Er hat genug gehört, jetzt kommt er.«
Ein großer Mann näherte sich langsam, Schritt für Schritt, aus dem Schatten. Er trug einen silbernen Kettenpanzer aus einem Netzwerk, so fein und filigran, daß es kaum als solches zu erkennen war, einen Jupon aus meergrüner Seide und einen Helm mit einem Kamm aus drei hohen Zacken, die aussahen wie das Rückgrat eines Fisches. Von der Stirn hing eine Reihe silberner Ketten, die das Gesicht vollständig verdeckten. Zehn Fuß vor ihnen blieb er stehen und verschränkte die Arme. »Ich bin Tamurello.«
»Du weißt, warum wir hier sind. Rufe Carfilhiot zurück, zusammen mit den zwei Kindern, die er verschleppt hat.«
»Carfilhiot ist gekommen und wieder gegangen.«
»Dann bist du sein Komplize und hast teil an seiner Schuld.« Hinter den Ketten erklang ein leises Lachen. »Ich bin Tamurello. Für meine Taten akzeptiere ich weder Preis noch Tadel. Und überhaupt, du liegst nicht mit mir in Hader, sondern mit Carfilhiot.«
»Tamurello, ich habe keine Geduld für leere Worte. Du weißt, was ich von dir verlange. Hole Carfilhiot zurück, zusammen mit meinem Wagen und den zwei Kindern, die er gefangenhält.«
Tamurellos Antwort kam diesmal mit tieferer, lauterer Stimme. »Nur der Starke sollte drohen.«
»Wieder leere Worte. Noch einmal: Befiehl Carfilhiot zurückzukehren.«
»Unmöglich.«
»Du hast seine Flucht vor mir ermöglicht, daher trägst du die Verantwortung für Glyneth und Dhrun.«
Tamurello stand schweigend, die Arme verschränkt. Die vier Männer spürten, wie er sie hinter seinen silbernen Ketten eingehend musterte. Schließlich sagte er: »Du hast mir deine Botschaft mitgeteilt. Du brauchst mit deinem Aufbruch nicht länger zu säumen.«
Die vier Männer stiegen auf ihre Pferde und ritten davon. Am Rande der Lichtung hielten sie an und schauten noch einmal zurück. Tamurello hatte sich wieder ins Haus begeben.
Mit dumpfer Stimme sagte Shimrod: »So, da haben wir es denn nun. Wir müssen uns also mit Carfilhiot auf Tintzin Fyral auseinandersetzen. Wenigstens sind die Kinder vorerst vor körperlichem Leid sicher.«
Aillas fragte: »Und was ist mit Murgen? Wird er sich ins Mittel legen?«
»Das geht nicht so leicht, wie Ihr vielleicht glauben mögt. Murgen zwingt die Magier, sich nicht in die Angelegenheiten der Menschen einzumischen. An dieses Verdikt ist er selbst natürlich auch gebunden.«
»Ich kann nicht länger warten«, erklärte Aillas. »Ich muß auf dem schnellsten Weg nach Troicinet zurück. Schon jetzt kann es sein, daß König Ospero tot ist und ich zu spät komme.«
28
Von Faroli ritten die vier Männer zurück zum Icnield-Pfad, dann nach Süden durch Pomperol und quer durch die Weite von Lyonesse nach Slut Skeme am Lir.
Den Fischer im Hafen widerstrebte es, eine Überfahrt nach Troicinet auch nur zu diskutieren. Der Kapitän der
Lupus
erzählte ihnen: »Ein troicisches Kriegsschiff patrouilliert ständig vor der Küste, manchmal auch draußen am Horizont, und versenkt alles, was seinen Weg kreuzt. Es ist ein schnelles Schiff. Und um auch den letzten Durchschlupf zu verstopfen, unterhält Casmir Dutzende von Spionen. Wenn ich euch übersetze, würde das Casmir bald zu Ohren kommen, und ich würde als troicischer Agent festgenommen. Wer weiß, was dann geschehen würde? Vielleicht wird der Tod des alten Königs Veränderungen bringen – zum Besseren, so hoffe ich.«
»Dann ist er also noch nicht tot?«
»Die Nachricht ist eine Woche alt; wer vermag zu sagen, was seither geschehen ist? Einstweilen muß ich bei der Arbeit mit einem Auge auf die Troicer achten, mit einem Auge auf das Wetter und mit einem Auge auf die Fische und darf mich dabei niemals mehr als eine Meile von der Küste entfernen. Es bedürfte schon eines Vermögens, mich zu einer Überfahrt nach Troicinet zu verlocken.«
Shimrods Ohr hörte aus den Worten des Mannes den leisen Fingerzeig heraus, daß er unter Umständen mit sich reden lassen würde. »Wie lange dauert die Passage?«
»Nun, wenn man bei Einbruch der Nacht lossegelte, um den Spionen und
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