Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
sondern absolut verdächtig. Für eine Liebesaffäre war Suldrun noch zu jung. Und doch ... Der Gedanke war absurd. Ihre Brüste waren gerade knospengroß. Doch wer weiß, vielleicht war sie ja von einem Faun betört worden, die schließlich dafür bekannt waren, daß sie eine besondere Vorliebe für die zuckersüßen Reize junger Mädchen hatten.
Derlei Gedanken spukten Lady Desdea im Kopf herum. Eines Tages bat sie Suldrun in schmeichelndem Ton, sie möge sie doch einmal in den Garten mitnehmen. Suldrun versuchte ihr dieses Ansinnen auszureden. »Es würde Euch dort nicht gefallen. Der Pfad führt über Felsen, und es gibt nicht viel zu sehen.«
»Trotzdem; ich glaube schon, daß ich den Garten gern einmal besichtigen würde.«
Suldrun schwieg geflissentlich, aber Lady Desdea fuhr hartnäckig fort: »Das Wetter ist schön. Wie wäre es, wenn wir unseren kleinen Spaziergang jetzt gleich machten?«
»Ihr müßt entschuldigen, Mylady«, erwiderte Suldrun höflich, »aber ich gehe zu jenem Ort nur, wenn ich allein bin.«
Lady Desdea zog ihre dünnen kastanienfarbenen Brauen hoch. »›Allein‹? Es geziemt sich nicht für eine Dame Eures Standes, allein an solch abgelegenen Orten umherzuwandern.«
Suldrun antwortete ruhig und ganz ungezwungen, wie jemand, der eine allgemein bekannte Wahrheit ausspricht. »Es ist nichts Schlimmes daran, sich seines eigenen kleinen Gartens zu erfreuen.«
Lady Desdea wußte nicht, was sie darauf hätte antworten können. Später berichtete sie Königin Sollace von Suldruns Halsstarrigkeit. Letztere war gerade damit beschäftigt, eine neue Pomade, gewonnen aus dem Wachs von Lilien, auszuprobieren. »Ich hörte schon mehrmals davon«, sagte Königin Sollace, während sie einen Klecks weißer Creme auf ihrem Unterarm verrieb. »Sie ist ein seltsames Wesen. In ihrem Alter machte ich verschiedenen stattlichen Burschen schöne Augen, aber solche Gedanken kommen Suldrun niemals in ihren eigenwilligen kleinen Kopf ... Ha! Welch ein satter, voller Duft! Fühlt nur, diese Glätte, diese Geschmeidigkeit!«
Am folgenden Tag strahlte die Sonne hell zwischen hoch dahinziehenden Wolkenherden hervor. Widerstrebend begab sich Suldrun zu ihrem Unterricht bei Julias Sagamundus. Sie trug ein förmliches, weiß und lavendelfarben gestreiftes Kleid, unter der Brust gerafft, mit einem Spitzenbesatz an Saum und Kragen. Auf einem Schemel hockend schrieb Suldrun brav einen Text in der verschnörkelten lyonessischen Schrift, mit einem feinen grauen Gänsekiel, der so lang war, daß die Spitze wohl einen Fuß über ihren Kopf hinausragte. Suldrun ertappte sich immer häufiger dabei, wie sie aus dem Fenster starrte, und die Schrift begann unexakt zu werden.
Julias Sagamundus, der sah, woher der Wind wehte, seufzte ein- oder zweimal, aber ohne Nachdruck. Er nahm Suldrun den Gänsekiel aus der Hand, packte seine Lehrbücher, Gänsekiele, Tintenfässer und Pergamente zusammen und entschwand, seinen eigenen Angelegenheiten nachzugehen. Suldrun glitt von ihrem Schemel und schaute versunken zum Fenster hinaus, so als lausche sie dem Klang ferner Musik. Dann riß sie sich abrupt aus ihrer Versunkenheit und verließ die Bibliothek.
Lady Desdea tauchte, aus dem Grünen Salon kommend, wo König Casmir sie ausführlich instruiert hatte, gerade noch rechtzeitig in der Galerie auf, um einen lavendelfarben und weiß gestreiften Zipfel von Suldruns Kleid hinter einer Ecke verschwinden zu sehen, als diese in das Oktagon ging.
Lady Desdea eilte ihr nach, erfüllt von des Königs Instruktionen. Sie lief ins Octagon, spähte nach links und nach rechts, dann lief sie wieder hinaus und entdeckte Suldrun, die schon am Ende der Arkade angelangt war.
»Ah, kleines Fräulein Pfiffikus!« sagte Lady Desdea zu sich. »Jetzt werden wir sehen!« Sie klopfte sich mit dem Finger auf den Mund, dann stieg sie hinauf in Suldruns Gemächer und zog dort Erkundigungen bei den Mädchen ein. Doch keine von beiden vermochte zu sagen, wo Suldrun steckte. »Einerlei«, sagte Lady Desdea. »Ich weiß, wo sie zu finden ist. Nun denn, legt ihr hellblaues Nachmittagskleid mit dem Spitzenmieder heraus und alles dazu Passende, und schöpft ihr ein Bad!«
Lady Desdea stieg wieder in die Galerie hinunter und schlenderte eine halbe Stunde dort herum. Schließlich ging sie zurück in die Lange Galerie. »So«, sagte sie zu sich, »nun werden wir sehen.«
Sie ging die Arkade hinauf und stieg durch den Tunnel hinaus auf den Paradeplatz. Zu ihrer Rechten
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