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Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse

Titel: Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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Solltest du ihn nie wiedersehen, dann bringt es dir keinen Nutzen, wenn du seinen Namen kennst.«
    »Persilian, du verspottest mich.«
    »Vielleicht. Von Zeit zu Zeit zeige ich das Unbegreifbare oder verspotte die Unschuldigen oder überführe Lügner der Wahrheit oder zerfetze die Posen der Tugend – ganz wie mich die Lust am Widersinn packt. Und nun schweige ich. So will es meine Laune.«
    Suldrun kletterte von dem Schemel herunter. Sie blinzelte; Tränen waren ihr in die Augen gequollen. Sie fühlte sich verwirrt und niedergeschlagen ... Der zwieköpfige Flaschenteufel reckte plötzlich einen seiner Hälse und schnappte mit seinem Schnabel nach Suldruns Haar. Er erhaschte nur eine dünne Strähne, die er sofort mit einem Ruck an der Wurzel ausriß. Suldrun stolperte aus dem Raum. Sie wollte gerade die Tür schließen, als ihr die Lampe einfiel. Sie rannte zurück, packte ihre Lampe und hastete hinaus. Die höhnischen Rufe des doppelköpfigen Flaschenteufels erstarben, als sie die Tür zuschlug.
     

5
    Am Tag des Beltane, im Frühling des Jahres, das auf Suldruns elften Geburtstag folgte, wurde der alte Brauch begangen, der unter dem Namen Blodfadh – »Blütenfest« – bekannt war. Zusammen mit dreiundzwanzig anderen Mädchen von edler Abkunft trat Suldrun durch einen Reif aus weißen Rosen, und dann führte sie mit Prinz Bellath von Caduz als Partner eine Pavane an. Der sechzehn Jahre alte Bellath war eher hager als kräftig. Seine Züge waren klar und ebenmäßig geschnitten, vielleicht eine Spur zu herb. Seine Umgangsformen waren korrekt und angenehm zurückhaltend. Irgendwie erinnerte er Suldrun an jemanden, den sie kannte. Aber an wen? Vergeblich forschte sie in ihrer Erinnerung. Während sie im Halbtakt der Pavane schritten, studierte sie sein Gesicht. Dabei entdeckte sie, daß er sie einer ähnlichen Musterung unterzog.
    Suldrun hatte entschieden, daß sie Bellath mochte. Sie lachte selbstbewußt. »Warum betrachtest du mich so eingehend?«
    »Soll ich dir die Wahrheit sagen?« fragte Bellath ein wenig verlegen.
    »Natürlich.«
    »Na schön. Aber du mußt den Schreck zurückhalten. Ich habe erfahren, daß wir beide einmal heiraten sollen.«
    Suldrun wußte nicht, was sie sagen sollte. Schweigend vollführten sie die würdevollen Schritte und Drehungen des Tanzes.
    Schließlich sagte Bellath besorgt: »Ich hoffe, du bist nicht beunruhigt über das, was ich gesagt habe?«
    »Nein ... eines Tages muß ich heiraten – so nehme ich an. Aber ich möchte jetzt noch nicht darüber nachdenken.«
    Später am Abend, als sie in ihrem Bett lag und noch einmal über die Ereignisse des Tages nachdachte, erinnerte sie sich plötzlich, an wen Prinz Bellath sie erinnerte: an niemand anderen als Meister Jaimes.
     
    Das Blodfadh brachte Veränderungen in Suldruns Leben. Sie mußte aus ihren vertrauten, liebgewordenen Gemächern im Ostturm in ein geräumigeres Quartier ein Stockwerk tiefer ziehen, und Prinz Cassander zog in ihre alten Räume.
    Zwei Monate zuvor war Dame Maugelin an der Wassersucht gestorben. Ihren Platz nahmen jetzt eine Näherin und zwei Mädchen ein.
    Dame Boudetta wurde mit der Aufsicht über Prinz Cassander betraut. Der neue Archivar, ein eingeschrumpfter kleiner Pedant namens Julias Sagamundus, wurde Suldruns Lehrer für Orthographie, Geschichte und Rechnen. Zur Förderung und Vervollkommnung ihrer weiblichen Tugenden und Zierden wurde Suldrun in die Obhut von Lady Desdea gegeben, der Witwe von Königin Sollaces Bruder, die fest auf Haidion wohnte und auf das träge Geheiß von Königin Sollace vornehme Dienste ausführte. Vierzig Jahre alt, ohne Besitz, grobknochig, groß, mit grobschlächtigen Zügen und übelriechendem Atem, hatte Lady Desdea keinerlei Aussichten, was sie indes nicht daran hinderte, sich illusionären Phantasien hinzugeben. Sie schminkte, puderte und parfümierte sich, sie trug ihr kastanienbraunes Haar hochmodisch frisiert, mit einem Dutt im Nacken und an den Seiten über den Ohren zu komplizierten Schnecken geflochten, die von Netzen gehalten wurde.
    Suldruns frische jugendliche Schönheit und ihre ungezwungene, leicht zerstreute Art kratzten an den empfindlichsten Fasern von Lady Desdeas Gemüt. Suldruns Ausflüge zu dem alten Garten waren inzwischen allgemein bekannt und wurden, wie nicht anders zu erwarten, von Lady Desdea mißbilligt. Für ein Mädchen – erst recht für eines von hohem Stand – war der Wunsch nach Heimlichkeit und Abgeschiedenheit nicht nur exzentrisch,

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