Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
Aillas! Warte, bis dein Arm wieder ganz hergestellt ist!«
»Ich werde schon auf meinen Arm achtgeben.«
»Es könnte jemand kommen.«
»Wer wäre so keck?«
»Bagnold. Der Priester Umphred. Mein Vater, der König.«
Aillas stöhnte. »Warum ist das Schicksal so streng?«
Suldrun sagte leise: »Dem Schicksal ist's doch einerlei.«
Die Nacht legte sich über den Garten. Die zwei saßen vor dem Feuer und aßen Brot, Zwiebeln und Muscheln, die Suldrun auf den Klippen gesammelt hatte. Wieder sprachen sie über ihre Flucht. Suldrun sagte nachdenklich: »Vielleicht werde ich mich ohne den Garten traurig fühlen. Ich kenne jeden Baum, jeden Stein ... Indes, seit du kamst, ist alles anders. Der Garten entfernt sich von mir.« Sie starrte ins Feuer und erschauerte ein wenig.
»Was fehlt dir?« fragte Aillas.
»Ich habe Angst.«
»Wovor?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wir könnten heute nacht fliehen, wäre nicht mein verletzter Arm. Noch ein paar Tage, und ich werde wieder bei Kräften sein. Inzwischen müssen wir planen. Die Frau, die dir dein Essen bringt, was ist mit ihr?«
»Zur Mittagsstunde bringt sie einen Korb und nimmt den leeren Korb vom Vortag mit. Ich spreche nie mit ihr.«
»Könnte man sie bestechen?«
»Wozu?«
»Das Essen zu bringen wie gewöhnlich, es fortzuwerfen und den leeren Korb am nächsten Tag wieder mitzunehmen. Mit einem Vorsprung von einer Woche wären wir über alle Berge und bräuchten nichts mehr zu befürchten.«
»Bagnold würde das niemals wagen, selbst wenn sie dazu bereit wäre, was sie jedoch nicht ist. Außerdem haben wir nichts, womit wir sie bestechen könnten.«
»Hast du keine Juwelen, kein Gold?«
»In meinem Schrank im Palast habe ich Gold und Edelsteine.«
»Das heißt also, sie sind unerreichbar.«
Suldrun überlegte. »Nicht unbedingt. Im Ostturm ist es nach Sonnenuntergang ruhig. Ich könnte direkt hinauf in mein Gemach gehen, und niemand würde mich bemerken. Und im Nu wäre ich wieder hinaus und fort.«
»Ist es tatsächlich so einfach?«
»Ja! Ich bin diesen Weg Hunderte von Malen gegangen, und selten bin ich unterwegs jemandem begegnet.«
»Wir können Bagnold nicht bestechen, also werden wir nur einen Tag Vorsprung haben, von Mittag bis Mittag, dazu die Zeit, die dein Vater braucht, um die Suche zu organisieren.«
»Eine Stunde, mehr nicht. Er handelt rasch und zielstrebig.«
»Also werden wir uns als Bauern verkleiden müssen, und das ist leichter gesagt als getan. Ist da niemand sonst, dem du vertrauen kannst?«
»Nur einer: die Amme, die mich betreute, als ich klein war.«
»Und wo ist sie?«
»Ihr Name ist Ehirme. Sie lebt in einer Hütte an der Straße nach Süden. Sie würde uns, ohne zu zögern, Kleider geben und alles, was wir bräuchten, wenn sie um meine Not wüßte.«
»Mit einer Verkleidung, einem Tag Vorsprung undGold für die Überfahrt nach Troicinet ist die Freiheit unser. Und hast du einmal den Lir überquert, dann bist du schlicht Suldrun von Watershade. Niemand wird wissen, daß du Prinzessin Suldrun von Lyonesse bist, mit Ausnahme von mir und vielleicht meinem Vater, der dich ebenso lieben wird wie ich.«
Suldrun schaute zu ihm auf. »Liebst du mich wahrhaftig?«
Aillas nahm ihre Hände und zog sie zu sich herauf. Ihre Gesichter waren ganz nahe beieinander. Dann küßten sie sich. »Ich liebe dich von ganzem Herzen«, sagte Aillas. »Ich will niemals von dir geschieden sein.«
»Ich liebe dich, Aillas, und auch ich möchte, daß wir niemals voneinander getrennt sind.«
Glückselig schauten sich die beiden in die Augen. Aillas sagte: »Treulosigkeit und Trübsal brachten mich hierher, doch ich bin dankbar dafür.«
»Auch ich bin traurig gewesen«, sagte Suldrun. »Doch wäre ich nicht aus dem Palast gewiesen worden, dann hätte ich nicht deinen armen ertrunkenen Körper bergen können!«
»Dank also dem blutdürstigen Trewan und Dank auch dem grausamen Casmir!« Er neigte sein Gesicht zu Suldrun hinab. Wieder und wieder küßten sie sich. Dann sanken sie ineinander verschlungen auf das Bett und verloren sich in inbrünstigem Liebesrausch.
Wochen vergingen, geschwind und voll von eigentümlichem Reiz: eine Zeit der Glückseligkeit, welche um so intensiver war, als sie vom Prickeln des Abenteuers begleitet war. Der Schmerz in Aillas' Schulter ließ nach, und eines Tages erklomm er am frühen Nachmittag die Klippe auf der Ostseite des Gartens und überquerte den felsigen Hang auf der seewärtigen Seite des Urquial,
Weitere Kostenlose Bücher