Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
schlang, und diesmal hielt er sich wankend aufrecht.
»Komm. Ich will dich stützen.«
Schritt für Schritt gingen sie hinauf durch den Garten. Bei der Ruine machten sie halt, um zu verschnaufen. Aillas sagte mit matter Stimme: »Ich muß dir sagen, daß ich Troicer bin. Ich fiel von einem Schiff. Wenn man mich entdeckt, wird man mich ins Gefängnis werfen – wenn nicht Schlimmeres geschieht.«
Suldrun lachte. »Du bist schon in einem Gefängnis. In meinem. Ich darf diesen Garten nicht verlassen. Doch sei unbesorgt, ich werde dich sicher verbergen.«
Sie half ihm hoch. Endlich erreichten sie die Kapelle.
So gut sie konnte, stellte Suldrun Aillas' Schulter mit Binden und Weidenruten ruhig und legte ihn auf ihr Bett. Aillas nahm ihre Fürsorge schweigend an und betrachtete sie auf dem Bette liegend. Was für Verbrechen hatte dieses schöne Mädchen begangen, daß man sie so einsperrte? Suldrun fütterte ihn erst mit Honig und Wein, dann mit Brei. Aillas spürte Wärme und Wohlgefühl und schlief ein.
Am Abend glühte Aillas' Körper vom Fieber. Suldrun wußte kein anderes Mittel, als ihm feuchte Tücher auf die Stirn zu legen. Um Mitternacht ließ das Fieber nach, und Aillas sank wieder in Schlaf. Suldrun machte es sich auf dem Fußboden neben dem Feuer so bequem, wie es ging.
Am Morgen wachte Aillas auf, halb überzeugt, daß er die Umstände, in denen er sich befand, nur träumte. Nach und nach ließ er die Erinnerung an die
Smaadra
wieder in sein Bewußtsein dringen. Wer hatte ihn ins Meer geworfen? Trewan? Aus einem plötzlichen Wahn heraus? Warum sonst? Sein Benehmen seit seinem Besuch auf der troicischen Kogge in Ys war höchst seltsam gewesen. Was mochte an Bord der Kogge vorgefallen sein? Was konnte Trewan an den Rand des Wahnsinns getrieben haben?
Am dritten Tage entschied Aillas, daß er keine Knochenbrüche hatte, und Suldrun lockerte die Bandage. Als die Sonne im Zenit stand, gingen die beiden hinunter in den Garten und setzten sich zwischen die umgestürzten Säulen der alten römischen Villa. Den ganzen goldenen Nachmittag hindurch erzählten sie einander aus ihrem Leben. »Dies ist nicht unsere erste Begegnung«, eröffnete ihr Aillas. »Erinnerst du dich an Gäste aus Troicinet, etwa vor zehn Jahren? Ich jedenfalls erinnere mich an dich.«
Suldrun dachte nach. »Da waren immer Dutzende von Delegationen. Mir scheint, ich erinnere mich an jemanden wie dich. Es ist so lange her, ich bin mir nicht ganz sicher.«
Aillas nahm ihre Hand. Es war das erste Mal, daß er Suldrun zärtlich berührte. »Sobald ich bei Kräften bin, werden wir fliehen. Es wird ein leichtes sein, die Felsen dort zu überklettern. Und dann über den Hügel, und fort sind wir.«
Suldrun sprach halb flüsternd, mit ängstlicher Stimme. »Wenn man uns ertappt ...« Sie zog wie erschaudernd die Schultern zusammen, »... würde der König kein Erbarmen mit uns haben.«
Mit gedämpfter Stimme erwiderte Aillas: »Man wird uns nicht ertappen! Nicht, wenn wir sorgfältig planen und umsichtig zu Werke gehen.« Er richtete sich auf und fuhr mit großem Elan fort: »Wir werden frei sein und über das Land fliehen! Wir werden nachts wandern und uns tagsüber verbergen. Wir werden sein wie die Vagabunden, und niemand wird uns erkennen.« Aillas' Optimismus begann Suldrun anzustecken. Die Aussicht auf Freiheit erfüllte sie mit Heiterkeit. »Glaubst du wirklich, wir können entkommen?«
»Natürlich! Wie sollte es anders sein?«
Suldrun ließ ihren Blick nachdenklich über den Garten und das Meer schweifen. »Ich weiß nicht. Ich habe nie damit gerechnet, glücklich zu sein. Und nun bin ich glücklich – obgleich ich mich fürchte.« Sie lachte nervös. »Beides zusammen bewirkt eine seltsame Stimmung.«
»Hab keine Furcht«, sagte Aillas. Ihre Nähe überwältigte ihn. Er legte den Arm um ihre Hüfte. Suldrun sprang auf. »Mir ist, als ob tausend Augen uns beobachten!«
»Insekten, Vögel, ein paar Eidechsen.« Aillas sah forschend über die Klippen. »Sonst kann ich niemanden sehen.«
Suldrun schaute nach oben und nach unten in den Garten. »Ich auch nicht. Dennoch ...« Sie setzte sich geziert ein wenig abseits von ihm wieder hin und schaute ihn schelmisch von der Seite an. »Mit deiner Gesundheit geht es anscheinend wieder bergauf.«
»Ja. Ich fühle mich sehr wohl, und ich kann dich kaum anschauen, ohne den Wunsch zu verspüren, dich zu berühren.« Er rückte nahe an sie heran, aber sie entzog sich ihm lachend.
»Nicht,
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