Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
Flucht wissen, und ihr könnt bei Tage reisen. Wer wird schon die Prinzessin Suldrun mit drei Bauersleuten und einem Esel in Verbindung bringen? Mein Vater und meine Mutter werden euch versteckt halten, bis die Gefahr vorüber ist, dann werdet ihr nach Troicinet weiterziehen, vielleicht über Dahaut. Dieser Weg ist weiter, aber sicherer.«
Demütig sagt Aillas: »Ich weiß nicht, wie ich Euch danken soll. Zumindest nicht, bis ich wieder in Troicinet bin. Dort erst bin ich in der Lage, meiner Dankbarkeit auch mit Taten Ausdruck zu verleihen.«
»Keine Ursache! Wenn ich mithelfen kann, die arme Suldrun von dem Tyrannen Casmir zu befreien, so ist mir das Lohn genug. Also dann, auf morgen abend, eine Stunde nach Sonnenuntergang, hier an dieser Stelle!«
Aillas kehrte zum Garten zurück und berichtete Suldrun von Ehirmes Plan. »So brauchen wir uns denn doch nicht wie Diebe durch die Nacht stehlen.«
Tränen schossen Suldrun in die Augen. »Meine liebe treue Ehirme! Ich habe ihre Güte niemals richtig gewürdigt!«
»Wenn wir erst in Troicinet sind, werden wir sie für ihre Treue reich belohnen.«
»Trotzdem werden wir Gold brauchen. Ich muß mich in meine Gemächer in Haidion schleichen.«
»Der Gedanke macht mir angst.«
»Es ist kein großer Umstand. Im Handumdrehen bin ich im Palast und wieder draußen.«
Die Dämmerung legte sich über den Garten. »Nun«, sagte Suldrun, »werde ich nach Haidion gehen.«
Aillas erhob sich. »Ich muß mit dir gehen, und wenn es nur zum Palast ist.«
»Wie du möchtest.«
Aillas kletterte über die Mauer, entriegelte die Hintertür, und Suldrun schlüpfte hindurch. Einen Moment lang blieben sie im Schatten der Mauer stehen. Ein halbes Dutzend trüber Lichter waren verteilt über die dunkle Fassade des Peinhador zu sehen. Der Urquial lag verlassen in der Dämmerung.
Suldrun spähte die Arkade hinunter. »Komm!«
Durch die Bögen sahen sie die Lichter von Lyonesse funkeln. Die Nacht war warm, die Arkaden rochen nach Stein, und an einigen Stellen stieg ihnen ein Hauch von Ammoniak in die Nase, wo irgend jemand seine Blase geleert hatte. An der Orangerie herrschte der Duft von Blumen und Früchten vor. Vor ihnen ragte Haidion auf. Hier und da ließ flakkerndes Kerzenlicht die Umrisse von Fenstern erkennen.
Das Tor zum Ostturm hob sich als dunkles Halboval gegen das Mauerwerk ab. »Am besten wartest du hier«, flüsterte Suldrun.
»Aber wenn jemand kommt?«
»Geh zur Orangerie zurück, und warte dort.« Suldrun drückte die Klinke hinunter und stemmte sich gegen die große Tür aus Eisen und Holz. Mit einem Seufzen schwang sie auf. Suldrun spähte in das Oktagon. Dann warf sie einen Blick zurück zu Aillas. »Ich gehe jetzt hinein –« Vom anderen Ende der Arkade kamen die Geräusche von Stimmen und Schritten. Suldrun zog Aillas ins Innere des Palastes. »Dann komm mit mir.«
Die beiden durchquerten das Oktagon, das von Kerzenlicht matt erhellt wurde. Zur Linken öffnete sich ein bogenförmiger Durchgang zur Langen Galerie hin. Dahinter war die Treppe zu sehen, die zu den oberen Stockwerken führte.
Die Lange Galerie war auf ihrer ganzen Länge verwaist. Suldrun faßte Aillas beim Arm. »Komm!«
Sie hasteten die Treppe hinauf, und wenig später standen sie vor Suldruns Gemächern. Ein schweres Schloß hielt zwei Haspen zusammen, die in Stein und Holz verankert waren.
Aillas untersuchte das Schloß und die Tür und unternahm zwei halbherzige Versuche, das Schloß aufzusprengen. »Wir können nicht hinein. Die Tür ist zu stark.«
Suldrun führte ihn durch den Korridor zu einer anderen Tür. Diese war ohne Schloß. »Eine Schlafkammer für Mädchen von Stand, die auf Besuch bei mir weilen.« Sie öffnete die Tür und lauschte. Kein Laut war zu hören. Das Zimmer roch nach Parfüm und Salbe, mit einem unangenehmen Nebengeruch von schmutzigen Kleidungsstücken.
Suldrun flüsterte: »Hier schläft jemand, aber sie ist fort zu einer Lustbarkeit.«
Sie durchquerten den Raum zum Fenster. Suldrun öffnete einen Flügel. »Du mußt hier warten. Ich bin oft hier durchgeschlüpft, wenn ich Dame Boudetta aus dem Weg gehen wollte.«
Aillas warf einen besorgten Blick zur Tür. »Hoffentlich kommt keiner.«
»Falls doch, dann mußt du dich im Kleiderschrank oder unter dem Bett verstecken. Ich bin bald wieder da.« Sie kletterte durch das Fenster, huschte über die breite Mauerkappe zu ihrem alten Gemach. Sie drückte gegen das Fenster. Es schwang auf. Sie stieg hinein und
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