Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
sprang hinunter auf den Fußboden. Der Raum roch nach Staub und langer Unbewohntheit in Regen und Sonnenschein. Ein Hauch von Parfüm hing noch in der Luft, eine melancholische Erinnerung an vergangene Zeiten, und Tränen stiegen Suldrun in die Augen.
Sie ging zu dem Schrank, in dem sie ihre Habe aufbewahrte. Alles war noch an seinem alten Platz. Sie fand die verborgene Geheimschublade und zog sie auf. Darinnen, so sagten ihr ihre prüfenden Finger, lagen noch immer jene Schmucksachen, Edelsteine, Gold- und Silbergeschmeide, die in ihren Besitz gelangt waren: größtenteils Geschenke von Verwandten, die sie besucht hatten. Weder Casmir noch Sollace hatten ihre Tochter je mit Geschenken überhäuft.
Suldrun band die Wertsachen in ein Halstuch. Dann ging sie zum Fenster und nahm Abschied von ihrem Zimmer. Nie wieder würde sie den Fuß hier hereinsetzen, dessen war sie gewiß.
Sie kehrte durch das Fenster zurück, zog die Flügel hinter sich zu und eilte zu Aillas.
Sie durchquerten den dunklen Raum, öffneten die Tür einen Spaltbreit, dann traten sie hinaus in den matt erleuchteten Korridor. Ausgerechnet in dieser Nacht herrschte Treiben im Palast. Zahlreicher Besuch schien zugegen, und vom Oktagon drangen Stimmen herauf, so daß die zwei sich nicht unauffällig wie geplant aus Haidion stehlen konnten. Sie schauten sich mit großen Augen und klopfendem Herzen an.
Aillas stieß einen leisen Fluch aus. »Nun sitzen wir also in der Falle.«
»Nein!« flüsterte Suldrun. »Wir nehmen die Hintertreppe. Sei unbesorgt, wir werden schon irgendwie entkommen! Komm!« Sie huschten auf leisen Sohlen den Korridor entlang, und so begann ein nervenaufreibendes Spiel, im Verlaufe dessen sie viele Augenblicke des Schreckens und der Furcht auszustehen hatten und mit dem sie in keiner Weise gerechnet hatten. Hierhin und dorthin rannten sie, hetzten durch alte Korridore, huschten geduckt an offenstehenden Türen vorbei, hier blitzschnell in den Schatten einer Mauernische zurückweichend, dort verstohlen um eine Ecke spähend: von der Galerie in den Spiegelsaal, dann die Wendeltreppe hinauf zum alten Observatorium, von dort aus über das Dach in einen hohen Salon, in dem junge Edle sich zum Stelldichein trafen, dann über eine Dienstbotenstiege hinunter in einen langen rückwärtigen Korridor, der auf eine Orchestergalerie über dem Ehrenhaus mündete.
In den Wandhaltern brannten Kerzen. Der Saal war für ein zeremonielles Ereignis hergerichtet, das vielleicht später am Abend stattfinden würde. Jetzt befanden sich noch keine Besucher in ihm.
Eine Treppe führte hinunter in ein Kabinett, an das sich der Malvensalon anschloß, so genannt wegen der malvenfarbenen Seidenpolster seiner Sessel und Chaiselongues: ein prachtvoller Raum mit elfenbeinfarbener und gelbbrauner Wandtäfelung und einem leuchtend smaragdgrünen Teppich. Aillas und Suldrun huschten auf Zehenspitzen zur Tür und weiter in die Lange Galerie, die jetzt verwaist lag.
»Nun ist es nicht mehr weit«, flüsterte Suldrun. »Wir müssen jetzt zuerst ins Ehrenhaus und von dort aus, wenn die Luft rein ist, schleichen wir uns zum Oktagon, und draußen sind wir.« Mit einem raschen Blick nach links und rechts rannten die beiden zu dem Alkoven, hinter dessen Tür das Ehrenhaus lag. Suldrun schaute zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren und ergriff Aillas beim Arm. »Da ist jemand aus der Bibliothek gekommen. Schnell fort!«
Sie schlüpften durch die Tür ins Ehrenhaus. Dort hielten sie inne. Mit pochendem Herzen starrten sie einander ins Gesicht und hielten den Atem an. »Wer war es?« flüsterte Aillas.
»Ich glaube, es war der Priester Umphred.«
»Vielleicht hat er uns ja nicht gesehen.«
»Vielleicht ... Wenn doch, wird er uns gewiß nachspüren. Komm, das Hinterzimmer!«
»Ich sehe kein Hinterzimmer!«
»Hinter dem Wandbehang. Schnell! Er nähert sich der Tür!« Sie rannten längs durch das Ehrenhaus und versteckten sich hinter dem Wandbehang. Durch den Spalt sah Aillas, wie die Tür ganz langsam aufging. Die wohlbeleibte Gestalt Bruder Umphreds hob sich dunkel gegen das aus der Langen Galerie hereinfallende Licht ab.
Einen Moment lang stand Bruder Umphred reglos da, bis auf ein paar schnelle, spähende Bewegungen seines Kopfes. Er gab ein verblüfftes Glucksen von sich und schritt langsam durch den Raum, forschende Blicke nach links und rechts werfend.
Suldrun ging leise zur Rückwand. Sie fand den Eisenstab und stieß ihn in die Löcher.
»Was
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