Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
vereinzelte Lichter, aber kein Laut drang zum Palast herauf. Suldrun und Aillas traten aus der Orangerie, liefen die Arkade hinauf und erreichten durch die Hinterpforte den Garten. Aillas zog Persilian unter seinem Rock hervor. »Spiegel, ich habe eine Frage gestellt, und ich werde gewiß keine weitere stellen, ehe nicht wichtige Gründe mich dazu treiben. Daher werde ich nun nicht fragen, wie ich dich verstecken muß, deinem Geheiß entsprechend. Solltest du jedoch den Wunsch haben, deine vorausgegangene Anweisung zu präzisieren, so will ich aufmerksam lauschen.«
Persilian sprach: »Verstecke mich nun, Aillas, verstecke mich nun wohl unten bei dem alten Lindenbaum. Unter dem Sitzstein ist ein Spalt. Verstecke auch das Gold, das du bei dir trägst, und spute dich!«
Die zwei gingen hinunter zur Kapelle. Aillas folgte dem Pfad bis unten zur alten Linde. Er wälzte den Sitzstein zur Seite und fand einen Spalt, in welchen er Persilian und das Tuch mit dem Gold und den Edelsteinen legte.
Als Suldrun sich der Tür der Kapelle näherte, hielt sie verblüfft inne: Kerzenschein drang aus dem Innern. Sie stieß die Tür auf. Bruder Umphred saß am Tisch und döste. Er schlug die Augen auf, sein Blick fiel auf Suldrun.
»Suldrun! Endlich bist zu zurückgekehrt! Ach, Suldrun, süß und übermütig! Unfug hast du getrieben! Was tust du, heimlich und verschwiegen, fern von deinem kleinen Reiche?«
Suldrun stand starr vor Entsetzen. Bruder Umphred stemmte seinen fülligen Leib vom Stuhl hoch und ging auf sie zu, ein süßliches Lächeln in den Zügen, die Augenlider halb geschlossen, so daß seine Augen wie schräge Schlitze wirkten. Er ergriff Suldruns schlaff herunterhängende Hände. »Liebes Kindchen! Sag mir, wo bist du gewesen?«
Suldrun versuchte, ihm ihre Hände zu entziehen, aber Bruder Umphred verstärkte seinen Griff. »Ich war im Palast, um mir einen Mantel und ein Gewand zu holen ... Laßt meine Hände los!« Aber Bruder Umphred zog sie nur noch enger an sich heran. Sein Atem ging schnell, und sein Gesicht war rot erhitzt. »Suldrun! Du schönstes von allen Geschöpfen der Erde! Weißt du, daß ich dich gesehen habe, wie du mit einem der Burschen aus dem Palast durch die Flure getanzt bist? Und da fragte ich mich, kann das Suldrun sein, die Reine, die Keusche, Suldrun, die so schwermütig ist, so zurückhaltend? Unmöglich, sagte ich mir. Aber wer weiß, vielleicht ist sie am Ende doch leidenschaftlich!«
»Nein, nein«, hauchte Suldrun und versuchte verzweifelt, sich loszureißen. »Bitte, laßt mich frei!«
Doch Bruder Umphred wollte sie nicht loslassen. »Sei lieb, Suldrun! Ich bin ein Mann von edlem Geiste, dennoch bin ich nicht unempfänglich für Schönheit! Schon lange, teuerste Suldrun, schmachte ich danach, deinen süßen Nektar zu schmecken, und bedenke, mein Sehnen ist geadelt durch die Heiligkeit der Kirche! Alsdann, mein teuerstes Kind, was immer du dort im Palast auch getrieben haben magst, es kann nur dein Blut in Wallung gebracht haben. Umarme mich, meine goldene Wonne, meine süße Schelmin, mein kleiner Schalk!« Bruder Umphred zerrte sie auf das Bett.
Aillas erschien im Türrahmen. Suldrun sah ihn und gab ihm durch ein verstecktes Zeichen zu verstehen, daß er von der Tür wegtreten solle. Sie zog die Knie an und entwand sich der Umarmung Bruder Umphreds. »Priester, mein Vater wird von Euren Taten erfahren!«
»Es kümmert ihn nicht, was mit dir geschieht«, sagte Bruder Umphred heiser. »Und nun sei folgsam! Oder muß ich unsere Beiwohnung mit Gewalt erzwingen?«
Aillas vermochte sich nicht länger zu beherrschen. Er sprang vorwärts und versetzte Bruder Umphred einen solch heftigen Schlag gegen die Schläfe, daß er torkelnd zu Boden ging. Suldrun rief bestürzt: »O Aillas, es wäre besser, du hättest dich herausgehalten.«
»Und zugelassen, daß er seine tierischen Gelüste an dir ausläßt? Eher würde ich ihn töten! Und genau das werde ich jetzt tun, um ihn für seine Dreistigkeit zu bestrafen!«
Bruder Umphred kroch verängstigt zur Wand. Seine Augen glänzten im Kerzenlicht.
Suldrun sagte zögernd: »Nein, Aillas, ich möchte nicht, daß du ihn tötest.«
»Er wird uns an den König verraten.«
»Nein, niemals!« schrie Bruder Umphred. »Ich höre tausend Geheimnisse, sie alle sind mir heilig!«
Nachdenklich sagte Suldrun: »Er soll Zeuge unserer Trauung sein – ja, er wird uns sogar trauen, und zwar nach dem christlichen Ritus, welcher so gültig ist wie jeder
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