Lyonesse 2 - Die grüne Perle
Jungfräulichkeit gewahrt. Es würde mich zu sehr ablenken, dein Schmerzgestöhn zu hören ...«
Tatzel gab einen verächtlichen Knurrlaut von sich, sagte aber nichts. Sie drehte sich auf die Seite, so daß ihr Rücken Aillas zugewandt war, und wenig später hörte er an ihrem regelmäßigen Atem, daß sie eingeschlafen war.
Am Morgen ging die Sonne an einem wolkenlosen Himmel auf. Aillas holte Zwieback und Käse aus seinem Ranzen. Gleich nachdem sie gegessen hatten, führte er Tatzel zu einer abgelegenen kleinen Schlucht fünfzig Schritt hinter der Hütte. Tatzel murrte und erhob Protest, aber Aillas blieb fest. »Diese Hügel sind echten Räubern nicht unbekannt, und diese sind kaum mehr denn wilde Tiere. Ich habe weder Pfeil noch Bogen, und wenn mehr als zwei von ihnen auftauchen sollten, könnte ich dich nicht beschützen. Und wenn mehr als zwei Ska uns entdeckten, könnte ich mich selbst nicht schützen. Also mußt du dich tagsüber verstecken, bis wir diesen Ort verlassen.«
»Wann wird das sein?« fragte Tatzel mißmutig.
»So bald wie möglich. Rühre dich nicht vom Fleck, bis ich komme, um dich zu holen. Es sei denn, mehrere Tage verstreichen; dann weißt du, daß ich tot bin.«
Aillas ging ins Tal zurück. Aus einem Stück Treibholz und einem Ast, den er von einer jungen Birke schnitt, fertigte er eine behelfsmäßige Krücke. Dann schnitt er einen starken Weidenzweig, entrindete ihn und schabte ihn glatt und fertigte daraus einen Bogen an. Dieser war von keiner besonderen Güte, da Weidenholz nicht die hohe Spannkraft von Eschen- oder Eibenholz besaß. Hickoryholz und Eichenholz waren zu spröde; Erlenholz war zu weich; Roßkastanienholz eignete sich zwar recht gut, aber es wuchs keines in der Nähe. Aus Weidentrieben schnitzte er Pfeile zurecht, die er mit Stoffstreifen »befiederte«. Als letztes fertigte er sich aus einem Birkenast einen Fischspeer an. Er spaltete das eine Ende in vier Zinken auf, spitzte jeden von ihnen an, spreizte die Zinken auseinander, indem er Kieselsteine zwischen sie klemmte, und umwickelte den so entstandenen Speer fest mit Stoff, um zu verhindern, daß er sich weiter spaltete.
Inzwischen war es früher Nachmittag geworden. Aillas ging mit seinem Fischspeer zum Fluß, und nach einer Stunde unverdrossenen Probierens gelang es ihm, eine prächtige Forelle von drei oder vier Pfund aufzuspießen. Als er dabei war, den Fisch am Ufer auszunehmen, hörte er Hufschlag nahen und ging sofort in Deckung.
Den Weg herauf kamen zwei Reiter, gefolgt von einem Karren, der von zwei zottigen Ackergäulen gezogen wurde. Auf dem Bock saß ein rundköpfiger Bauernjunge von vielleicht vierzehn Jahren. Die Reiter waren von weit weniger vertrauensvoller Erscheinung. Sie trugen zerschlissene Kettenhemden und Lederhelme mit Nacken- und Ohrenstücken. Schwere Langschwerter hingen an ihren Gürteln; an ihren Sattelknäufen baumelten Bogen und Köcher im Verein mit kurzstieligen Streitäxten. Der größere von den beiden war etwas älter als Aillas: dunkel, stämmig, mit kleinen, gemein blickenden Augen, einem struppigen Bart und einer fleischigen Hakennase. Der andere – er war vielleicht fünfzehn Jahre älter – saß seltsam zusammengekauert im Sattel; er war ebenso hager, zäh und hart wie das Leder, auf dem er saß. Sein Gesicht war blaß und beunruhigend: ungewöhnlich breite Wangenknochen verliehen ihm zusammen mit seinen runden grauen Augen und einem kleinen, schmallippigen Mund ein fast schlangenartiges Aussehen.
Aillas erkannte die zwei sofort als Gesetzlose, und er beglückwünschte sich zu seiner weisen Voraussicht, Tatzel in der kleinen Schlucht versteckt zu haben, insofern, als die Reiter nämlich inzwischen das tote Pferd bemerkt hatten und darüber rätselten, was es zu bedeuten haben mochte.
Vor der Hütte hielten die Reiter an und murmelten miteinander, dann lehnten sie sich hinunter, um die Spuren im Sand zu begutachten. Sie hielten wachsam nach allen Seiten Ausschau, dann saßen sie ab, banden ihre Pferde an dem Karren fest und näherten sich vorsichtig der Hütte. Sie hatten noch keine zwei Schritte gemacht, als sie jählings innehielten.
Aillas erstarrte vor Schreck. Tatzel hatte die Reiter ebenfalls kommen hören. Sie kam auf einem Bein um die Hütte herum gehüpft, blieb vor den beiden Reitern stehen und sprach zu ihnen in einem Ton selbstbewußter Autorität. Was sie sagte, vermochte Aillas indes nicht zu verstehen. Sie deutete auf den Karren. Aillas nahm an, daß sie
Weitere Kostenlose Bücher