Lyonesse 2 - Die grüne Perle
durch den Dunst geblendet, und Räuber rauben nur bei schönem Wetter. Komm! Wir reiten!«
Er packte den Schinken und den Käse ein, und sie machten sich wieder auf den Weg.
Der Nachmittag verging langsam und in unangenehmer Eintönigkeit. Eine Stunde vor Sonnenuntergang ließ der Wind an Heftigkeit nach, und die Wolkendecke riß auf. Ein Dutzend rotgelbe Sonnenstrahlen fielen auf die Landschaft und sprenkelten die düstere, langweilige Szenerie mit Farbtupfern.
Aillas hielt an, um den Pferden Gelegenheit zum Verschnaufen zu geben. Als er zurückblickte, lag das Tal in seiner ganzen Breite und Länge vor ihm, während nur noch etwa eine Meile voraus der Rand des Plateaus den Himmel durchschnitt.
Aillas ritt weiter den Pfad hinauf; erneut, und mehr denn je zuvor, fühlte er sich beobachtet.
Der Pfad erreichte den Fuß des letzten steilen Anstiegs. Aillas saß ab, um sein Pferd zu schonen. Mühsam stapfte er bergan, langsam, Schritt für Schritt, bis auch er außer Atem war und stehenblieb, um Luft zu schöpfen. Die Pferde standen mit bebenden Flanken da und bewegten unter leisem Schnauben ihre Köpfe ruckartig hin und her. Tiefer Schatten hüllte die Gruppe ein; hin und wieder brachen ein paar Strahlen der tiefstehenden Sonne durch die Wolkendecke und tauchten die Felsenklippen und Wolkengebirge im Osten in blutrotes Licht.
Sobald die Pferde sich von der Anstrengung einigermaßen erholt hatten, setzte Aillas den Anstieg fort. Wieder stapfte er vorwärts, Schritt für Schritt, Schritt für Schritt, und schließlich, mit einem letzten, energischen Vorwärtsschwung, setzte er den Fuß auf das Plateau. Im Süden erhoben sich die Wolkenschneider; im Osten ragte das wuchtige, zerklüftete Massiv des Teach tac Teach auf, rot glühend im Lichte der untergehenden Sonne. Nach Norden hin verlor sich das Plateau im Nebel und tiefhängenden Wolken.
In hundert Fuß Entfernung stand ein großer Mann in schwarzem Umhang und starrte in die Landschaft. Er stand da, als wäre er tief in Gedanken versunken, die Hände auf den Knauf seines Schwertes gestützt, dessen Scheide mit der Spitze auf dem Boden vor ihm ruhte. Ein Stück weiter stand sein Pferd, angebunden an einen Busch. Er warf einen kurzen Seitenblick auf Aillas und Tatzel, dann wandte er den Blick wieder ab, als wolle er sie ignorieren, was Aillas nur recht war.
Aillas ging weiter, als wäre der Mann nicht vorhanden.
Als sie genau auf seiner Höhe waren, drehte sich der Mann langsam um, so daß das Licht der untergehenden Sonne seine Gesichtszüge in rotgoldenes Licht tauchte. Er sprach nur ein Wort: »Halt!«
Aillas zügelte höflich sein Pferd, und der Mann kam langsam auf ihn zu. Sein Haar war schwarz und glatt. Unter seiner niedrigen Stirn wölbten sich finstere, buschige Brauen über leuchtenden, nußbraunen Augen. Hart vorspringende Wangenknochen, ein breiter, wohlgestalter, wenngleich etwas grober Mund sowie ein kurzes, kantiges Kinn vermittelten – im Verein mit einem leichten Zucken des linken Wangenmuskels – den Eindruck von hitziger, leidenschaftlicher, nur mühsam von einer zynischen Intelligenz gebändigter Kraft. Er sprach wieder, mit einer Stimme, die zugleich hart und melodisch war: »Wohin geht ihr?«
»Wir wollen über den Windigen Weg nach Süd-Ulfland«, antwortete Aillas. »Wer seid Ihr, Herr?«
»Mein Name ist Torqual.« Sein Blick blieb auf Tatzel haften. »Und wer ist diese Dame?« murmelte er.
»Sie ist zur Zeit in meinen Diensten.«
»Seid Ihr nicht eine Ska, junge Dame?«
»Ich bin eine Ska.«
Torqual kam einen Schritt näher. Er ist stark, dachte Aillas: breitschultrig, ein mächtiger Burstkorb, schmale Hüften. Ein Mann, dachte er, den Tatzel niemals für furchtsam oder ängstlich oder auch nur für vorsichtig halten würde.
Torqual sprach in fröhlichem, wohlklingendem Ton: »Junger Mann, ich erhebe Anspruch auf Euer Leben. Ihr seid unbefugt in ein Territorium eingedrungen, welches ich als das meine betrachte. Steigt ab und kniet vor mir nieder, damit ich Euch bequem den Kopf abschlagen kann. Ihr werdet sterben in diesem tragischen goldenen Licht der untergehenden Sonne.« Er zog das Schwert aus der Scheide.
Aillas erwiderte in höflichem Ton: »Herr, ich ziehe es vor, nicht zu sterben, und schon gar nicht auf den Knien. Ich bitte Euch hiermit um Erlaubnis, dieses Land, welches Ihr für Euch beansprucht, unbeschadet durchqueren zu dürfen.«
»Der Antrag ist abgelehnt, wenngleich Ihr in der Tat mit freundlicher und artiger
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