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Lyonesse 2 - Die grüne Perle

Titel: Lyonesse 2 - Die grüne Perle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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Meile Breite, auf der roter Mohn und blauer Rittersporn wuchsen. Vereinzelte Eichen von gewaltiger Größe standen über die Wiese verstreut, jede von einer eigenen, altersgrauen Persönlichkeit. Am Ende der Wiese trotzte eine unregelmäßige Reihe von Gräbern der Witterung und der Zeit. Jedes dieser Gräber trug eine Gedenktafel, deren Aufschrift Aillas indes nicht zu entziffern vermochte, handelte es sich doch um jene verschlungenen rhedaspianischen Schriftzeichen, die für die heute Lebenden unverständlich waren. Aillas fragte sich, ob die Geister, die Cwyd erwähnt hatte, vielleicht dazu überredet werden mochten, die Inschriften zu entziffern und so einen womöglich unschätzbaren Beitrag zum Wissen der heutigen Gelehrten zu leisten. Es war eine interessante Idee, fand Aillas, die er bei Gelegenheit einmal mit Shimrod erörtern mußte.
    Einen weiten Bogen um die Gräber schlagend und von Geistern unbehelligt, ritten Aillas und Tatzel zum Rand der Wiese, wo sie erneut absaßen und sich zu Fuß an den Abstieg hinunter zur zweiten Terrasse machten, die sie nach einiger Mühsal erreichten.
    Aillas belehrte Tatzel: »Jetzt müssen wir höchste Wachsamkeit walten lassen! Laut Cwyd haust hier eine üble Kreatur, und sie kann uns in jeder Gestalt erscheinen. Wir dürfen weder Geschenke noch Gefälligkeiten annehmen! Hast du verstanden? Nimm nichts an, von niemandem, gleich welcher Gestalt, sonst ist dein Leben verwirkt! Los jetzt! Laß uns diese Terrasse so geschwind wie möglich überqueren!«
    Die zweite Terrasse war wie schon die erste eine lange Wiese von etwa einer Meile Breite. In unregelmäßigen Abständen wuchsen mächtige Eichenbäume, und zu ihrer Linken versperrte ein Wald von Ulmen und Kastanien den Blick nach Westen.
    Sie hatten bereits die Hälfte des Weges zurückgelegt, als sie einem jungen Mann begegneten, der die Terrassen heraufgestapft kam. Er war kräftig und hübsch, von frischer Gesichtsfarbe, mit einem goldfarbenen Bart und kurzem, gelocktem Haupthaar von derselben Farbe. Er trug einen Wanderstab, einen Rucksack und eine kleine Laute. An seinem Gürtel hing ein Dolch. Sein brauner Kittel und seine braunen Hosen waren schmucklos und von ordentlicher Qualität; an seiner grünen Mütze prangte eine schmucke rote Feder. Er trat Aillas und Tatzel entgegen, blieb stehen und hob die Hand zum Gruße. »Guten Tag! Wohin des Wegs?«
    »Nach Godelia; das ist unser direktes Ziel«, gab Aillas zur Antwort. »Und Ihr?«
    »Ich bin ein wandernder Poet; ich wandere dorthin, wohin der Wind mich bläst.«
    »Ein angenehmes und sorgenfreies Leben, so möchte man meinen«, sagte Aillas. »Sehnt Ihr Euch niemals nach einer richtigen Heimat?«
    »Das ist ein bittersüßes Dilemma. Ich komme oft an Stätten, die in mir den Wunsch zum Verweilen erwecken, doch so ich diesem Wunsche nachgebe, entsinne ich mich nach kurzer Zeit anderer Orte, wo ich Freuden und wunderbare Dinge erlebt habe, und schon muß ich weiterwandern.«
    »Und kein Ort vermag Euch so zu fesseln, daß Ihr auf Dauer dort bleiben möchtet?«
    »Niemals. Der Ort, zu dem es mich zieht, liegt immer hinter den fernen Bergen.«
    »Ich kann Euch keinen vernünftigen Rat geben«, sagte Aillas. »Außer diesem einen: Haltet Euch hier nicht auf! Klimmt zum Gipfel der Terrassen hinauf, bevor dieser Tag zu Ende geht; Ihr werdet länger leben.«
    Der Vagabund lachte fröhlich. »Furcht kommt nur zu dem, der schon Angst hat. Das einzige ›Beängstigende‹, das ich heute gesehen habe, waren ein paar Kolibris und ein Büschel feiner wilder Weintrauben, das mich beim Wandern behindert.« Er zog ein Büschel frischer, dunkelroter Trauben hervor und hielt es Aillas und Tatzel hin.
    Tatzel streckte erfreut die Hand nach den Trauben aus; Aillas beugte sich vor, schlug ihren Arm beiseite und riß die Pferde zurück. »Danke; wir wollen nichts essen. Auf diesen Terrassen ist man gut beraten, wenn man nichts annimmt und nichts gibt. Einen guten Tag.«
    Aillas und Tatzel ritten weiter. Tatzel grollte. Aillas sagte barsch: »Habe ich dir nicht gesagt, du sollst nichts annehmen, solange wir uns auf dieser Terrasse befinden?«
    »Er sah nicht wie ein Ghul aus.«
    »Wäre nicht gerade das seine Absicht? Wo ist er jetzt?« Sie blickten zurück, aber von dem jungen Vagabunden war keine Spur mehr zu sehen.
    »Das ist sehr merkwürdig«, räumte Tatzel ein.
    »Wie der Ghul selbst versicherte: die Welt ist ein Ort, an dem wundersame Dinge geschehen.«
    Noch während Aillas dies

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