Lyonesse 2 - Die grüne Perle
Arbeit.
Aillas band die Pferde an, baute das Zelt auf und sammelte Gras für ein Bett. Als er fertig war, setzte er sich ans Feuer und lehnte sich an einen Lorbeerbaum, den Weinsack in der Hand.
Tatzel kniete neben dem Feuer. Ihre schwarzen Locken hatte sie mit einem Band nach hinten gerafft. Aillas dachte an seine Zeit auf Burg Sank zurück und versuchte, sich an seine erste Begegnung mit Tatzel zu erinnern. Deutlich sah er sie wieder vor sich: ein schlankes Geschöpf von unbekümmerter Selbstsicherheit, das mit langen, energischen Schritten an ihm vorüberging.
Aillas seufzte. Auf den schwermütigen jungen Mann, der er damals gewesen war, hatte Tatzel mit ihrem faszinierenden Gesicht und ihrer frischen Lebendigkeit einen tiefen, tiefen Eindruck gemacht.
Und jetzt? Er beobachtete sie, während sie arbeitete. Ihre Selbstsicherheit hatte einer düsteren Verschlossenheit Platz gemacht, und die bitteren Fakten ihres gegenwärtigen Daseins hatten ihr natürliches Feuer seines strahlenden Glanzes beraubt.
Tatzel spürte, daß er sie studierte, und warf ihm einen unwirschen Blick über die Schulter zu. »Warum schaut Ihr mich so an?«
»Einfach so, aus einer Laune heraus.«
Tatzel wandte den Blick wieder ins Feuer. »Manchmal habe ich den Verdacht, Ihr seid verrückt.«
»Verrückt?« Aillas dachte über das Wort nach. »Wie kommst du darauf?«
»Ich wüßte keinen anderen Grund für Euren Haß auf mich.«
Aillas lachte. »Ich empfinde dir gegenüber keinen Haß.« Er trank von dem Weinschlauch. »Heute abend bin ich freundlich gestimmt; eigentlich bin ich dir sogar Dank schuldig.«
»Diese Schuld ist leicht bezahlt. Gebt mir ein Pferd, und laßt mich meines Weges ziehen.«
»In diesem wilden Land? Damit erwiese ich dir keinen Gefallen. Überdies ist meine Dankbarkeit gewissermaßen eine indirekte. Du hast sie dir verdient, ohne es zu wollen.«
Tatzel murmelte: »Wieder kommt der Wahn über Euch.«
Aillas erhob den Weinschlauch und trank. Dann bot er den Schlauch Tatzel an, die ihn mit einem verächtlichen Kopfschütteln verschmähte. Aillas trank erneut von dem Schlauch, der mittlerweile bejammernswert schlaff war. »Meine Bemerkungen sind vielleicht ein wenig unverständlich. Ich will es dir erklären. Auf Burg Sank verliebte ich mich in eine gewisse Tatzel, die in mancherlei Hinsicht dir ähnelte, die aber im wesentlichen ein imaginäres Wesen war. Dieses Phantom, das in meinem Geiste lebte, besaß Eigenschaften, die, so dachte ich, einem Geschöpf von solchem Liebreiz und solcher Intelligenz angeboren sein müßten.
Je nun, ich entkam von Burg Sank und ging meines Weges, und immer noch schleppte ich dieses Phantom mit mir herum, das jetzt nur noch dazu diente, meine Wahrnehmung zu verzerren. Schließlich kehrte ich dann nach Süd-Ulfland zurück.
Fast durch Zufall wurden plötzlich meine kühnsten, abwegigsten Träume wahr, als ich dich gefangennehmen konnte: die reale Tatzel. So weit, so gut. Und das Phantom, wirst du fragen, was ist damit?« Aillas hielt inne, um zu trinken. Er mußte den Schlauch sehr hoch heben. »Dieses entzückende, überirdische Geschöpf ist verschwunden, und schon jetzt fällt es mir schwer, mich seiner zu erinnern. Tatzel existiert natürlich, und sie hat mich von dem tyrannischen Gaukelbild aus meinen Träumen befreit – und nun weißt du den Grund für meine Dankbarkeit.«
Tatzel blickte ihn nur einmal kurz von der Seite an, dann wandte sie sich wieder dem Feuer zu. Dem brutzelnden Fleisch entströmte jetzt ein köstlicher Duft. Tatzel knetete Teig für die Fladen, dann begann sie, die Pilze in dem Bratenfett zu schmoren. Aillas ging indessen zum Ufer des Bachs und pflückte Kresse, um daraus einen Salat zuzubereiten.
Wenig später war das Fleisch durchgebraten, und Aillas und Tatzel schmausten vom Besten, was das Land zu bieten hatte. »Spirifiume!« rief Aillas. »Sei versichert, daß wir deine Großzügigkeit sehr zu schätzen wissen, und wir danken dir für deine Gastfreundschaft! Ich trinke auf dein Wohl!«
Spirifiume antwortete weder mit glitzerndem Farbenspiel noch mit leisen, süßen Klängen, doch als Aillas den Weinschlauch anhob, der bereits ein Stadium beklagenswerter Schlaffheit erreicht hatte, stellte er zu seiner Freude fest, daß er wieder prall gefüllt war. Aillas kostete den Wein; er war mild und süß und herb und frisch – alles zugleich! Da rief Aillas aus: »Spirifiume! Du bist ein Gott so recht nach meinem Herzen! Solltest du jemals Nord-Ulflands
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