Lyonesse 2 - Die grüne Perle
überdrüssig werden, dann lasse dich bitte in Troicinet nieder!«
Die Sonne schien immer noch über das Land. Tatzel setzte sich zu ihm unter den Baum und pflückte müßig Gänseblümchen, die sie zu einem Kranze flocht. Plötzlich sprach sie. »Ich habe nachgedacht über das, was Ihr mir erzählt habt ... Ich empfinde eine ganze Flut von Gefühlen! Weil Ihr über Eure Träume grübelt, muß ich ganz unwissentlich leiden! Unannehmlichkeiten, Gefahren, Demütigungen – ich habe sie alle erfahren! Selbst wenn ich auf Burg Sank nie ein Wort mit Euch gesprochen ...«
»O doch, das hast du! Nach einem kleinen Schwertgefecht mit deinem Bruder! Und erinnerst du dich nicht, wie du einmal in der Galerie stehengeblieben bist, um mit mir zu sprechen?«
Tatzel schaute ihn verblüfft an. »Das wart Ihr? ... Ich habe es kaum wahrgenommen. Wie dem auch sei, ganz gleich, wie sehr ich auch Eurem Trugbild ähnelte, die Realitäten bleiben bestehen.«
»Und welche Realitäten sind das?«
»Ich bin eine Ska; ihr seid ein Anderling. Selbst im Traum sind Eure Vorstellungen undenkbar.«
»Offensichtlich.« Aillas ließ noch einmal seine Erinnerungen an sich vorüberziehen. »Wenn ich dich auf Burg Sank besser kennengelernt hätte, dann hätte ich mir wohl nie die Mühe gemacht, dich zu fangen. Aber noch einmal: es ist einerlei. Du bist du, und ich bin ich. Das Phantom ist verschwunden.«
Tatzel nahm den Weinschlauch und trank. Dann stemmte sie sich mit einem Ruck hoch, setzte sich auf die Fersen und schwang herum, so daß sie ihm direkt ins Gesicht schaute. Zum ersten Mal blitzte wieder etwas von dem Feuer der alten Tatzel in ihren Augen auf. »Ihr seid so herrlich verschroben in Eurem Kopf, daß ich an mich halten muß, um Euch nicht auszulachen! Nachdem Ihr mich erst über die Moore gehetzt habt, mir das Bein gebrochen und mich dutzendfach gedemütigt habt, erwartet Ihr allen Ernstes, daß ich mit leuchtenden Augen zu Euch gekrochen komme, glücklich darüber, Eure Sklavin zu sein, und Eure Liebkosungen erheische, erfüllt von der bangen Hoffnung, daß ich nur ja dem Phantombild Eurer erotischen Tagträumereien entspreche. Ihr behauptet, daß es den Ska an Gefühlstiefe gebricht, aber Euer Verhalten mir gegenüber ist absolut eigennützig! Und jetzt hockt Ihr da und schmollt, weil ich nicht schluchzend angekrochen komme und Euch um Nachsicht anflehe. Ist das nicht eine Farce?«
Aillas stieß einen tiefen Seufzer aus. »Alles, was du sagst, ist wahr. Das muß ich zugeben, bei allem, was recht ist. Ich wurde von romantischer Leidenschaft dazu getrieben, einem Traumbild nachzujagen. Doch will ich eines klarstellen, mit nur flüchtigem Verweis auf die Tatsache, daß die Ska mich zu ihrem Sklaven gemacht haben und ich das Recht auf Vergeltung habe: du bist eine Kriegsgefangene. Hätten die Ska nicht unsere Stadt Suarach überfallen, dann hätten wir nicht Burg Sank angegriffen. Hättest du dich nicht der Gefangennahme widersetzt, dann hättest du dir nicht das Bein gebrochen und würdest nicht einsam mit mir hier im Moor sitzen.«
»Pah! Hättet Ihr an meiner Statt etwas anderes getan, als zu entkommen suchen?«
»Nein. Hättest du an meiner Statt etwas anderes getan, als zu versuchen, dich gefangenzunehmen?«
Tatzel schaute ihn volle fünf Sekunden an. »Nein ... Trotzdem: ganz gleich, was ich nun bin, ob Kriegsgefangene oder Sklavin oder was auch immer, ich bin eine Ska, und Ihr seid ein Anderling, und daran gibt es nichts zu rütteln.«
III
Als Aillas am Morgen den Weinschlauch verstaute, stellte er fest, daß er nach wie vor prall gefüllt war, so als wäre er niemals angebrochen worden, und einmal mehr richtete er glühende Worte des Dankes an den Gott Spirifiume. Nachdem er ihre Lagerstatt mit peinlicher Sorgfalt aufgeräumt hatte, als Zeichen seines Respekts vor ihrem Gastgeber, begaben sie sich an den Abstieg zur nächsten Terrasse. Ein wenig von der früheren Spannung war jetzt aus ihrer Beziehung gewichen, wie nach einem reinigenden Gewitter, wenngleich von Kameradschaft noch immer nicht die Rede sein konnte.
Der Hang war steil und der Weg durch das Dornengestrüpp beschwerlich, aber nach gehöriger Frist erreichten sie schließlich die vierte Terrasse: die schmalste und am dichtesten bewaldete von allen. An manchen Stellen war sie weniger als eine halbe Meile breit. Ahornbäume, Kastanien, Eschen und Eichen spreizten ihre weitausladenden Schirme aus Laub über die Terrasse und hüllten sie in hier und da von
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