Lyonesse 2 - Die grüne Perle
Sonnenlicht gesprenkelte Schatten.
Cwyd hatte über die vierte Terrasse nichts erwähnt; daher hatte Aillas keinen Grund, sich vor irgendeiner drohenden Gefahr zu fürchten. Dennoch hing ein merkwürdiger, beunruhigender Geruch in der Luft, von einer Art, die Aillas sowohl verwirrend als auch – auf einer kreatürlichen Ebene – beängstigend fand, dies um so mehr, als er ihn nicht zu identifizieren vermochte.
Tatzel sah sich mit verwirrtem Gesichtsausdruck um. Dann blickte sie Aillas an und bemerkte, daß auch er verblüfft war. Sie zog es vor, nichts zu sagen.
Die Pferde hatten den Geruch ebenfalls wahrgenommen. Sie bewegten ruckartig den Kopf hin und her und tänzelten steifbeinig zur Seite, Aillas' Unbehagen noch verstärkend. Er hielt an und spähte in alle Richtungen, sah jedoch nur schattigen Waldboden, der mit einer dicken Schicht toten Laubes bedeckt war.
Aillas gab sich einen Ruck und ritt weiter; durch Säumen war nichts zu gewinnen.
Sie ritten durch eine unheimliche Stille. Aillas spähte wachsam nach links und nach rechts und wandte sich immer wieder im Sattel um, um einen Blick nach hinten zu werfen. Nichts war zu sehen. Tatzel hielt, scheinbar ganz mit sich und ihren eigenen Gedanken beschäftigt, den Blick starr nach vorn gerichtet und ignorierte Aillas' Spannung.
Zehn Minuten lang ritten sie so schweigend durch die Stille; das Sonnenlicht, das durch das Blattwerk sickerte, spielte ihren Augen immer wieder seltsame Streiche. Plötzlich erschien Aillas ein bemerkenswertes Trugbild, und er zog scharf die Luft ein, blinzelte und starrte mit hervorquellenden Augen auf die furchterregende Erscheinung ... Erscheinung? Dies war keine Erscheinung! Zwei große Kreaturen, gut fünfzehn Fuß hoch, beobachteten sie ruhig aus einer Entfernung von knapp dreißig Schritten. Sie standen auf gedrungenen gelben Beinen, die in ihrer Form an die von Menschen erinnerten. Ihre Rümpfe und Arme hätten von riesigen graugelben Bären stammen können. Dicke gelbe Borsten sprossen allenthalben auf ihren runden Köpfen und ließen unwillkürlich an riesige gelbe Nadelkissen denken. Gesichtszüge waren keine auszumachen. Hier war eindeutig die Quelle des merkwürdigen Gestanks.
Die Kreaturen standen regungslos da; nur ihre stachligen runden Köpfe drehten sich langsam – in Aillas' und Tatzels Richtung? Aillas spürte, wie seine Nackenhaare sich sträubten; dies waren weder Oger noch Riesen noch andere Kreaturen von dieser Welt, aber es schienen auch keine Dämonen zu sein. Es waren Geschöpfe außerhalb jeden Wissens und jeden Hörensagens, und die Erinnerung an sie würde ihn noch lange Zeit verfolgen. Tatzel, die vor ihm ritt, beachtete weder die stummen Kreaturen, noch hörte sie Aillas' erschrecktes Keuchen.
Die Kreaturen blieben hinter ihnen zurück und entschwanden schließlich aus Aillas' Blickfeld; Aillas hieb die Hacken in die Flanken seines Pferdes und führte seinen kleinen Trupp im Kanter durch den Wald; die Pferde bedurften keiner Aufforderung.
Wenig später erreichten sie den Rand der Terrasse und entdeckten dort einen Pfad, der sie über eine bequeme Route hinunter zur fünften Terrasse, über diese hinweg und schließlich über den letzten Abhang hinunter zum Gestade des Quyvern-Sees führte. Dort vereinigte sich der Pfad mit der Uferstraße, und die Welt der Menschen hatte sie wieder.
Das Ostufer wurde von dichtem Kiefernwald gesäumt; am Westufer wechselten sich kleine Buchten mit felsigen Landzungen ab. Zweihundert Schritte vor ihnen tauchte eine dichtgedrängte Ansammlung von Holzhäusern auf, darunter auch ein Hospiz.
Als Aillas und Tatzel die Straße entlangritten, kamen sie an die Werkstatt eines Bootsbauers; gleich daneben war ein kleiner Landungssteg, an dem ein halbes Dutzend kleine Boote vertäut lagen.
Vom See her näherte sich ein Kahn dem Anlegeplatz; darinnen saß ein großer dünner Mann mit langem blassen Gesicht und strähnigem schulterlangen schwarzen Haar. Er steuerte den Kahn an den Steg, machte die Fangleine fest, hob einen Korb voller Fische aus dem Heck des Kahns und stieg an Land. Er blieb stehen und musterte Aillas, Tatzel und ihre vier Pferde mit abschätzendem Blick.
Der Fischer trug gerade seinen Fang zur Straße, wo er den Korb absetzte und Aillas mit tiefer Stimme ansprach: »Wanderer, woher kommt ihr, und wohin geht ihr?«
Aillas antwortete: »Wir kommen von weit her, über die Moore von Süd-Ulfland. Unser Ziel indes bestimmt Tshansin, die Göttin des Anfangs und
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