Lyonesse 2 - Die grüne Perle
anlangte; er nahm Quartier im Gasthof Krone und Einhorn, wo er eine hübsche saubere Kammer für sich allein beziehen konnte.
Wie der lange Liam, der Barbier, bezeugt hatte, war die Hammelpastete von ausgezeichneter Güte, und Sir Tristano fand, daß er gut gespeist habe. Beiläufig erkundigte er sich hernach beim Wirt: »Wie steht's mit Räubern in dieser Gegend? Werden Reisende oft belästigt?«
Der Wirt schaute sich um und sagte dann: »Man hört Berichte über einen, der sich ›großer Toby‹ nennt; sein Lieblingsaufenthalt scheint der Wald zwischen hier und Toomish zu sein.«
»Ich will dir einen Hinweis geben«, sagte Sir Tristano. »Kennst du den Barbier, der sich langer Liam nennt?«
»Natürlich. Er treibt seine Geschäfte überall in dieser Gegend. Auch er ist ein sehr großer Mann.«
»Mehr will ich nicht sagen«, endete Sir Tristano.»Nur noch dies: Die Übereinstimmung geht über einebloße Ähnlichkeit der Statur hinaus. Der Statthalter des Königs könnte an dieser Neuigkeit durchaus interessiert sein.«
V
Der lange Liam, der Barbier, wanderte über Pfade und Seitenstraßen gen Süden und nach Dahaut, wo er auf den spätsommerlichen Erntefesten seinem Gewerbe nachzugehen gedachte. In der Stadt Mildenberry machte er gute Geschäfte, und eines Nachmittags wurde er nach Fotes Sachant gerufen, in das Landhaus von Lord Imbold. Ein Lakai führte ihn in ein Privatgemach, wo er erfuhr, daß er wegen der Krankheit eines Kammerdieners benötigt werde, Lord Imbold zu rasieren und ihm den Schnurrbart zu stutzen.
Der lange Liam vollzog seine Pflichten mit angemessener Geschicklichkeit, und Lord Imbold machte ihm ein entsprechendes Kompliment und bewunderte überdies die grüne Perle, die der lange Liam an einem Ring trug. Für so außergewöhnlich und bemerkenswert hielt Lord Imbold das Kleinod, daß er den langen Liam aufforderte, ihm einen Preis dafür zu nennen.
Der lange Liam gedachte diese Situation zu seinem Vorteil zu nutzen und nannte eine hohe Summe. »Eure Lordschaft, dieses Schmuckstück gab mir mein Großvater auf dem Sterbebett, und der besaß es vom Sultan von Ägypten. Für weniger als fünfzig Goldkronen könnte ich mich nicht davon trennen.«
Lord Imbold war empört. »Hältst du mich für einen Narren?« Er wandte sich ab und rief den Lakaien. »Taube! Bezahl diesem Burschen, was er zu bekommen hat, und fuhr ihn hinaus!«
Der lange Liam blieb allein, während Taube die Münzen holte. Er erkundete das Zimmer, öffnete eine Schranktür und entdeckte ein Paar goldener Kerzenleuchter, die seine Habgier dermaßen anstachelten, daß er sie ergriff und in seinen Beutel steckte. Dann schloß er den Schrank wieder.
Taube kehrte gerade noch rechtzeitig zurück, um Liams verdächtiges Benehmen zu bemerken, und er verlangte den Beutel zu sehen. Der lange Liam geriet in Panik; sein Rasiermesser blitzte auf und tat einen so tiefen Schnitt in Taubes Kehle, daß dem der Kopf rückwärts über die Schultern fiel.
Der lange Liam wollte fliehen, wurde aber ergriffen, vor Gericht gestellt und zum Galgen geführt.
Ein verkrüppelter ehemaliger Soldat namens Manting diente der Grafschaft seit zehn Jahren als Henker. Er verstand seine Arbeit und beendete das Leben des langen Liam mit kundiger Hand, allerdings in einem Stil, dem jenes zusätzliche Element der Überraschung und der Schärfe fehlte, welches den bemerkenswerten Scharfrichter von seinem nüchternen Kollegen unterschied.
Zu den Nebeneinkünften, die Mantings Stellung ihrem Inhaber einbrachten, gehörten Kleider und Schmuck des Leichnams, und so gelangte Manting in den Besitz eines wertvollen grünen Perlenrings, den er sich zufrieden an den eigenen Finger steckte.
Fortan erklärten alle, die Manting bei seinem Schaffen zuschauten, daß er seine Henkersarbeit nie mit größerer Anmut und Liebe zu Detail ausgeführt habe: manchmal war es, als seien Manting und der Verurteilte Figuren in einem tragischen Drama, das allen Beteiligten das Herz erbeben ließ; am Ende, wenn die Falltür geöffnet, der Schlag getan, die Fackel in den Scheiterhaufen gestoßen war, fand sich nur selten ein trockenes Auge unter den Zuschauern.
Zu Mantings Pflichten gehörte hin und wieder auch eine Folterung, und auch hier erwies er sich nicht nur als ein erfahrener Meister der klassischen Techniken, sondern als findiger und geschickter Erfinder raffinierter Neuerungen.
Manting neigte indessen dazu, sich im Verfolg irgendeines theoretischen Konzepts zu
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