Lyonesse 2 - Die grüne Perle
gegraben hatte; sie ließen ihn hinunter und bedeckten ihn unter dem Klagen der Hinterbliebenen mit Erde.
»Eine gute Beerdigung«, erklärte Orlo befriedigt.»Überdies gewahre ich dort drüben ein Schild, welches ohne Zweifel das Vorhandensein eines Gasthofes bezeichnen soll; womöglich habt Ihr den Wunsch, dort für die Nacht Unterkunft zu nehmen.«
»Was ist mit Euch?« fragte Sir Tristano. »Gedenkt Ihr etwa nicht, unter einem Dach zu schlafen?«
»O doch, aber, so betrüblich es ist, hier trennen sich unsere Pfade. An der Kreuzung dort werdet Ihr Euch nach rechts wenden, auf die Straße nach Avallon. Ich indessen muß nach links; mit einer Stunde Reitens gelange ich so zum Hause einer gewissen Witwe, der ich in ihren einsamen Stunden Trost, wo nicht gar Erheiterung zu spenden hoffe. Und somit, Sir Tristano, wünsche ich Euch Lebewohl!«
»Lebt wohl, Orlo; die Trennung von einem so guten Gefährten betrübt mich. Vergeßt nicht, auf Schloß Mythric werdet Ihr stets willkommen sein.«
»Ich werde es nicht vergessen!« Orlo ritt die Straße hinunter. An der Kreuzung drehte er sich noch einmal um, schaute zurück, hob winkend den Arm und war fort.
Sir Tristano ritt, ein wenig melancholisch jetzt, ins Dorf. Beim Gasthof
Zu den Vier Eulen
verlangte er Quartier; man führte ihn eine Treppe hinauf zu einem Speicher unter dem Strohdach. In seiner Kammer fand sich ein Strohlager, ein Tisch, ein Stuhl, eine alte Kommode und ein frischer Bastteppich.
Zum Abendbrot verspeiste Sir Tristano gekochtes Rindfleisch, mit Möhren und Pastinaken in seiner eigenen Brühe serviert; dazu gab es Brot und eine Paste aus gehacktem Meerrettich und Sahne. Er trank zwei große Becher Bier und begab sich, müde von den Anstrengungen des Tages, früh in seine Kammer.
Stille senkte sich über das Dorf, und beinahe schwarze Finsternis hüllte es ein, denn der Himmel war bedeckt; erst um Mitternacht rissen die Wolken auf, und ein trauriger Viertelmond trat hervor.
Bis zu dieser Stunde schlief Sir Tristano gut; dann aber weckte ihn das leise Geräusch von Schritten im Gang. Die Tür zu seiner Kammer öffnete sich knarrend, und Schritte verrieten, daß langsam jemand hereinkam und sich dem Bett näherte. Sir Tristano lag stocksteif auf seiner Lagerstatt. Er fühlte die Berührung kalter Finger, und dann fiel etwas auf den Mantel, der seine Brust bedeckte.
Die Schritte schlurften hinaus. Die Tür schloß sich. Die Erscheinung entfernte sich auf dem Gang, und bald war es wieder still.
Sir Tristano stieß jäh einen heiseren Schrei aus und riß seinen Mantel beiseite. Ein leuchtender grüner Gegenstand fiel zu Boden und rollte zwischen die Bastfasern.
Endlich versank Sir Tristano doch wieder in unruhigen Schlaf. Die kühlen roten Strahlen der Morgensonne, die durchs Fenster hereinfielen, weckten ihn. Er lag auf dem Rücken und starrte unter das Strohdach. Was in der Nacht geschehen war – ein Alptraum? Welch ein Segen, wenn es einer gewesen war! Er stützte sich auf den Ellbogen, suchte den Boden ab und entdeckte die grüne Perle beinahe sofort.
Sir Tristano erhob sich von seinem Lager. Er wusch sich das Gesicht, kleidete sich an und schnallte die Stiefel zu, und die ganze Zeit über behielt er die grüne Perle aufmerksam im Auge.
In der Kommode fand er eine zerrissene alte Schürze; er faltete sie zusammen und benutzte sie, um die Perle damit aufzuheben. Das Bündel mit der Perle sicher im Beutel, verließ er seine Kammer. Nach einem Frühstück aus Hafergrütze und gebratenem Kohl bezahlte er seine Rechnung und machte sich wieder auf den Weg.
Am Kreuzweg wandte er sich nach rechts auf die Straße zum Königreich Dahaut, die ihn schließlich nach Avallon bringen würde.
Beim Reiten dachte er nach. Die Perle hatte sich mit einem christlichen Begräbnis nicht zufriedenstellen lassen. Sie gehörte ihm, bis man sie ihm wegnähme, mit Gewalt oder durch List.
Am frühen Nachmittag gelangte er in das Dorf Timbaugh. Eine Meute Straßenköter kam ihm kläffend und schnappend entgegengejagt, um ihn zu vertreiben. Sie ließen erst von ihm ab, als er vom Pferd stieg und sie mit Steinen bewarf. Am Wirtshaus machte er Halt, um sich an Brot und Wurst gütlich zu tun, und während er sein Bier trank, kam ihm ein Gedanke.
Mit großer Sorgfalt drückte er die Perle in eine Wurst und trug sie hinaus auf die Straße. Wieder kamen die Hunde gesprungen, um ihn zu beschimpfen; sie knurrten und schnappten nach ihm und wollten ihn zum Dorf hinausjagen.
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