Lyonesse 2 - Die grüne Perle
Dussel. »Willst du mir treu dienen, und dich ohne Murren meinen Anweisungen fügen?«
Dildahl rollte mit den Augen und ballte die Fäuste.
»Wenn ich muß, dann muß ich.«
»Sehr gut. Dann sag mir als erstes, wo du deine – oder besser gesagt: meine – Geldkassette versteckt hast.«
»Sie liegt unter den Fliesen in meiner Wohnstube.«
»Die jetzt meine Wohnstube ist. Du mußt sofort ausziehen, in eine der Katen draußen. Danach scheuerst du den Fußboden, bis jede Diele blitzt und glänzt wie frisches Stroh! Ich wünsche nicht den kleinsten Flecken auf dem Boden des
Gasthofs zum See
zu sehen, der gewiß ein beliebtes Ausflugsziel für die feine Gesellschaft von Xounges werden wird!«
II
Twittens Kreuzweg, im Walde von Tantrevalles gelegen war dreimal im Jahr Schauplatz von Märkten, zuwelchen Händler und Käufer von den gesamten Älteren Inseln kamen, Menschen wie Halblinge, jeder von der Hoffnung beseelt, vielleicht irgendeinen wunderbaren Talisman oder ein Schmuckstück oder ein Elixier zu entdecken, die seinem Leben Vorteil oder seinem Geldbeutel Zuwachs bringen mochten.
Der erste und der letzte dieser sogenannten ›Goblinmärkte‹ fanden im Frühlings- beziehungsweise zur Herbst-Tagundnachtgleiche statt. Der zweite – oder mittlere – Markt begann an jenem Abend, den die Druiden ›Pignal aan Haag‹, die Elfen des Waldes von Tantrevalles ›Sommersthawn‹, die Archivare der Ska in der Sprache des urzeitlichen Norwegens ›Soltra Nurre‹ nennen: eine Zeit, die den Beginn des Mondjahres kennzeichnet, definiert als die Nacht des ersten Neumondes nach der Sommersonnenwende. Aus unerfindlichen Gründen war diese Nacht eine Zeit der ungewöhnlichen Einflüsse und des versteckten, heimtückischen Drängens von zu plötzlicher Empfindsamkeit erweckten Wesenheiten geworden. Wanderer an hochgelegenen Orten glaubten oft das Echo geschwätziger Stimmen und das Trommeln ferner Hufe zu hören.
Im Gasthof
Zur Lachenden Sonne und zum Weinenden Mond
, hart an Twittens Kreuzweg gelegen, war diese Nacht unter dem Namen ›Freamas‹ bekannt und bedeutete für Hockshank, den Wirt, daß er mehr als alle Hände voll zu tun hatte. Schon vor Freamas war der Gasthof überfüllt von Volk jedweder Art, das gekommen war, um sich in zwangloser Kameraderie zu vergnügen, zu kaufen, zu verkaufen, zu handeln, oder auch bloß, um zu schauen und zu lauschen, oder vielleicht auch, um irgendeinen lange vermißten Freund wiederzusehen oder aber einen säumigen Schuldner, oder, um sich irgendeinen Gegenstand wiederzubeschaffen, dessen sie auf die eine oder andere Weise verlustig gegangen waren; kurz, die Sehnsüchte und Wünsche waren so vielfältig und verschieden wie die Leute selbst.
Unter diesen Leuten befand sich auch Melancthe, die frühzeitig angereist war, um das Zimmer zu belegen, welches für ihren Gebrauch reserviert war.
Für Melancthe bedeutete der Markt eine willkommene Gelegenheit, ihre Innenschau für eine Weile zu unterbrechen, ein Ereignis, bei dem ihre Gegenwart wenig Aufmerksamkeit und noch weniger Neugier erregte. Hockshank, der Wirt, legte bezüglich seiner Gäste zurückhaltende Gleichgültigkeit an den Tag, solange sie mit gutem Silber und Gold zahlten, keinen Ärger machten und keine üblen oder betörenden Gerüche absonderten, und in seinem Schankraum tummelte sich stets eine bunte Vielfalt von Halblingen und Mischlingen, Käuzen und Sonderlingen, und eben auch Personen wie Melancthe, die nach außen völlig normal erschienen.
Gleich nachdem Melancthe angekommen war, ging sie hinaus zur Wiese, um beim Aufbau der Buden zuzuschauen. Viele Händler hatten bereits ihre Waren zur Schau gestellt, in der Hoffnung, die Besucher anzulocken, die nur mit begrenzten Mitteln ausgestattet waren, bevor sie ihr ganzes Geld woanders ausgaben.
Melancthe schlenderte gemächlich von Bude zu Bude, lauschte belustigt den aufgeregten Rufen der Höker, lächelte milde, wenn sie etwas sah, das ihr gefiel. Auf der Ostseite der Wiese kam sie an einem Schild vorbei, auf dem in grünen, gelben und weißen Lettern stand:
Hier ist der Stand des Angesehenen und Einzigartigen
ZUCK
HANDEL MIT OBJEKTEN, DIE EINZIGARTIG UNTER DEM FIRMAMENT SIND! Meine Preise sind angemessen; meine Waren sind oft bemerkenswert!
Keine Garantie! Keine Rückgabe! Umtausch ausgeschlossen!
Zuck selbst stand hinter der Theke seiner Bude: ein kleiner, dicker, fast kahlköpfiger Mann mit rundem Gesicht und naiv-neugierigem Gesichtsausdruck.
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