Lyonesse 2 - Die grüne Perle
mit gutem Gold zahltet, aber heute nacht ist der Stall schon voll. Und wenn Ihr mir einen Beutel voll Gold auf die Theke legtet, könnte ich Euch keine Kammer geben.«
»Sprecht Ihr von einem kleinen oder von einem großen Beutel?«
»Heute nacht könnt Ihr mit dem einen wie mit dem andern allenfalls einen Schlafplatz auf der Bank im Schankraum erwerben, mehr nicht. Die Kundschaft bedrängt mich von allen Seiten; schon jetzt habe ich einige heikle Kompromisse gemacht.« Hockshank deutete mit seinem Messer auf einen Tisch im hinteren Bereich des Schankraums. »Seht Ihr an dem Tisch dort hinten die drei fülligen Matronen mit dem würdevollen Gebaren?«
Shimrod wandte sich um und schaute. »Ihre Würde ist fürwahr beeindruckend.«
»So ist es. Das sind die Heiligen Jungfrauen vom Tempel des Dis in Dahaut. Ich habe sie in ein Sechsbett-Zimmer gelegt, zusammen mit den drei Herren dort drüben mit dem Weinlaub im Haar. Ich hoffe nur, daß sie ihre philosophischen Differenzen beilegen können, ohne andere Gäste in ihrer Nachtruhe zu stören.«
»Was ist mit der Dame, die dort hinten allein in der Ecke sitzt?«
Hockshank starrte durch den Raum. »Das ist Melancthe, die Halbhexe; sie bewohnt die Kammer hinter der Tür mit den Zwei Grünen Eidechsen.«
»Vielleicht könntet Ihr sie dazu bewegen, ihre Kammer mit mir zu teilen.«
Hockshank hielt in seiner Arbeit inne. »Wenn sich das alles so einfach machen ließe, würde ich selbst dort nächtigen, und Ihr dürftet den Schlafplatz über dem Herd mit Dame Hockshank teilen.«
Shimrod wandte sich ab und ging zu einem Tisch an der Seite des Raumes, wo er eine Portion Wildbret mit Johannisbeere und Gerste verzehrte.
Melancthe ließ sich schließlich dazu herbei, seine Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen. Sie durchquerte den Raum und nahm auf dem Stuhl ihm gegenüber Platz. Mit leichter Stimme sagte sie: »Ich habe euch immer als ein wahres Muster an Galanterie betrachtet! Sollte ich mich so sehr geirrt haben?«
»Zum größten Teil: ja. Was bewegt Euch dazu, meine Ritterlichkeit in Frage zu stellen?«
»Da ich es war, die Euch hierherrief, hättet Ihr wohl an meinen Tisch kommen können.«
Shimrod nickte. »Was Ihr sagt, ist stichhaltig, abstrakt betrachtet. In der Vergangenheit habe ich Euch freilich oft als unberechenbar erlebt, und manchmal ätzend in Eurem Tadel; es ist eine Eurer kleinen Eigenarten. Deshalb zögerte ich, unsere Bekanntschaft öffentlich zu zeigen und Euch womöglich in Verlegenheit zu bringen, sondern wartete, daß Ihr mir ein Zeichen gäbet und so den ersten Schritt tätet.«
»Guter, bescheidener, zurückhaltender Shimrod! So habe ich mich doch nicht geirrt! Eure Ritterlichkeit ist untadelig!«
»Danke«, sagte Shimrod. »Außerdem wollte ich gegessen haben, bevor Ihr mir etwas sagen würdet, das mir den Appetit verderben würde.«
»Und seid Ihr nun gesättigt?«
»Ich habe gut gespeist, wenngleich das Wildbret ein wenig zäh war, und Ihr habt Euch mittlerweile überlegt, was Ihr mir sagen wollt.«
Melancthe warf einen lächelnden Blick auf die Blume, die sie in der Hand hielt. »Vielleicht habe ich Euch gar nichts zu sagen.«
»Warum wurde ich dann durch ein so deutliches Zeichen hierhergerufen? Oder rauben in diesem Moment Diebe Trilda aus?«
Melancthes Lächeln wurde nebelhaft. »Es könnte doch sein, daß ich lediglich in Begleitung des berühmten Shimrod gesehen werden wollte, um meinen Ruf zu fördern.«
»Bah! Nicht eine Person kennt mich hier, mit Ausnahme von Hockshank.«
Melancthe sah sich im Schankraum um. »Tatsächlich, es scheint Euch niemand zu bemerken. Der Grund ist simpel: Eure Bescheidenheit. Tamurellos dramatische Verkleidungen sind zum größten Teil abstoßender Natur. Ihr seid klüger; Ihr verbergt Euch hinter einer Gestalt, die Euch großen Vorteil bringt.«
Shimrod schaute verblüfft über den Tisch. »Tatsächlich? Inwiefern?«
Melancthe inspizierte Shimrod aus halb geschlossenen Augen, mit leicht zur Seite geneigtem Kopf. »Ihr täuscht perfekt den Durchschnittsmann vor! Euer Haar ist kurzgeschnitten nach der Art der Bauern und hat die Farbe von Stallstroh. Eure Gesichtszüge sind knochig und hager, aber Ihr mildert ihre Grobheit ab durch die Komik eines Einfaltspinsels, die jeden beruhigt. Ihr tragt einen schlichten Bauernkittel, und wenn Ihr eßt, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt, legt Ihr den gesunden Appetit von einem, der viele Stunden im Rübenfeld geschuftet hat, an den Tag. Alle diese
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