Lyonesse 2 - Die grüne Perle
Gesichtspunkte tragen zu einem vorteilhaften Gesamtbild bei, was Euch sehr wohl bewußt ist! Kein Gegner würde jemals hinter diesem hageren, zwinkernden Tölpel den gefährlichen und scharfsinnigen Shimrod vermuten! Eine fürwahr listige Vermummung.«
»Ich danke Euch!« sagte Shimrod. »Eure Komplimente sind kaum zu überbieten; ich nehme sie mit Vergnügen an ... Bursche! Bring mehr Wein!«
Melancthe lächelte auf ihre Blume hinunter. »Hat Hockshank eine Kammer für Euch gefunden?«
»Er hat mir eine Bank im Schankraum angeboten. Vielleicht findet sich ja doch noch etwas Besseres.«
»Wer weiß?« murmelte Melancthe.
Der Bursche brachte Wein in einer grauen Fayence-Karaffe, die mit blauen und grünen Vögeln verziert war, und zwei gedrungene Fayence-Becher. Shimrod schenkte die Becher voll. »Nun denn: Ihr habt mich hergerufen; Ihr habt mich als einen Bauern und einen Tölpel charakterisiert; Ihr habt mich aus meinen Studien gerissen. Lag noch ein anderer Zweck in Eurem Ruf?«
Melancthe zuckte die Achseln. Sie trug an diesem Abend ein dunkelbraunes Kleid, in dem sie schlank wie ein Knabe wirkte. »Vielleicht habe ich Euch gerufen, weil ich mich einsam fühlte.«
Shimrod zog die Brauen hoch. »Unter all diesem wunderlichen Volk? Es sind Eure Vertrauten und die Singvögel, mit denen Ihr Euch draußen auf den Felsen trefft!«
»Um die Wahrheit zu sagen, Shimrod, ich wollte Euch sehen, um Euch zu fragen, was Ihr von dieser Blume haltet.« Sie hielt ihm die Blüte vor. Die Blätter, schwarz, purpurfarben, eisblau und karmesinrot, schauten so frisch aus, als wäre die Blume gerade erst gepflückt worden. »Riecht! Der Duft ist einzigartig.«
Shimrod schnupperte und schaute die Blume mißtrauisch an. »Sie ist zweifellos wunderschön, und ihre Blätter sind prachtvoll geformt. Ich habe noch nie eine solche Blume gesehen.«
»Und was sagt Ihr zu dem Duft?«
»Ich finde ihn eine Spur zu berauschend. Er erinnert mich an ...« Shimrod hielt inne und rieb sich das Kinn.
»An was?«
»Ein seltsames Bild kam mir gerade in den Sinn: eine Szene, in welcher Blumen miteinander im Krieg lagen und sich gegenseitig niedermetzelten. Blumen mit grünen Armen und Beinen, die tot oder tödlich verwundet im Staub lagen, während andere stolz und grausam auf die dem Untergang geweihten einhackten; und so roch das Schlachtfeld.«
»Eine komplizierte und spitzfindige Weise, einen Geruch zu beschreiben.«
»Vielleicht. Wo habt Ihr die Blume erworben?«
»Am Stand des Händlers Zuck, der mir nichts über ihre Herkunft verraten will.«
Shimrod trank aus seinem Becher. »Nun haben wir über meine Verkleidung und Eure Blume diskutiert; welche anderen Themen interessieren Euch?«
Melancthe schüttelte traurig den Kopf. »Als wir uns zum ersten Mal begegneten, da wart Ihr ohne jeden Argwohn. Jetzt werft Ihr mir zynische Blicke über den Rand Eures Bechers zu.«
»Ich bin älter geworden«, erwiderte Shimrod. »Ist das nicht der Lauf des Lebens? Als ich zum ersten Mal erfuhr, daß ich Shimrod bin, da verspürte ich eine sprudelnde Überschwenglichkeit, die ich nicht zu beschreiben vermag! Murgen verzweifelte an mir und wollte nicht einmal meine Stimme hören. Es war mir einerlei; ich tollte herum und war ausgelassen wie eine junge Ziege und zog durch das Land, hungrig auf Abenteuer.«
»Aha, heute abend kommen alle Eure Geheimnisse ans Licht. Zählt zu ihnen auch ein Eheweib, übriggeblieben aus jener Phase des Sturmes und Dranges, zusammen mit einer bunten Schar von Söhnen und Töchtern?«
Shimrod lachte. »Ein Eheweib existiert definitiv nicht. Was Kinder betrifft, nun, wer weiß? Ich genoß das Leben eines Vagabunden; ich war frei und sorglos wie ein Vogel und nur gar zu empfänglich für die Reize lieblicher Mägdelein, ob sie nun Elfen, Falloy oder Menschenwesen waren. Sollte ich denn Kinder gezeugt haben, dann vermag ich weder zu sagen, wie viele, noch, was aus ihnen geworden sein mag. Heute stelle ich mir diese Frage bisweilen, aber damals dachte ich niemals über solche Dinge nach. Aber diese Zeiten sind lange vergangen; heute abend sitzt Shimrod hier, gesetzt und listig, in einer bäuerlichen Vermummung. Wie ist es Euch denn unterdessen ergangen?«
Melancthe seufzte. »Tamurello ist vom Berg Khambaste zurückgekehrt, und sogleich ist die Luft schwanger von Intrigen und Gerüchten, die Euch
vielleicht interessieren, vielleicht aber auch nicht.«
»Ich bin ganz Ohr.«
Melancthe betrachtete die Blume, als sähe sie
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