Lyonesse 2 - Die grüne Perle
überlief Shimrod. »Und er hat Glyneth mitgenommen?«
»So sagt das Gerücht. Aber du kannst es nicht mehr verhindern; es ist geschehen.«
»Warum hat Vishbume das getan?«
»Er tat es auf Casmirs Geheiß. Außerdem liebt Vishbume solche Projekte, wenn man Tamurello Glauben schenken darf.«
»Er muß wissen, daß er damit seine Lebensspanne erheblich verkürzt hat«, sagte Shimrod.
Melancthe hielt ihn eng an sich gepreßt. »Wenn du so bist, mag ich dich am liebsten.«
Shimrod stieß sie von sich. »Du hättest es mir sofort erzählen müssen.«
»Ach, Shimrod! Vergiß nicht, daß die Gefühle, die ich dir gegenüber hege, gemischter Natur sind. Einmal fühle ich mich wohl, ja sogar glücklich mit dir, dann wieder möchte ich dir weh tun und dir jeden nur erdenklichen Schmerz bereiten.«
»Du kannst von Glück reden, daß ich dir gegenüber nicht ähnliche Sehnsüchte hege, obgleich du sie herausforderst.« Shimrod kleidete sich an.
»Nun tritt genau das ein, was ich befürchtet habe«, sagte Melancthe. »Der edle Ritter Shimrod eilt nach Tanjecterly, um seine niedliche Glyneth zu retten.«
»Wo ist Tanjecterly? Wie gelangt man dorthin?«
»Der Weg ist ausführlich beschrieben im seltensten aller Bücher: Vishbume stahl es von Hippolito.«
»Und wie lautet der Name des Buches?«
»Twittens Almanach oder so ähnlich ... Shimrod! Willst du wirklich gehen?«
Die einzige Antwort war das Geräusch der Tür, die hinter Shimrod ins Schloß fiel. Melancthe zuckte die Achseln und schlief gleich darauf ein.
Am Morgen ging Melancthe von großer Vorfreude erfüllt zur Bude des Händlers Zuck, wo sie die nächste Enttäuschung erlebte.
»Ich habe mit dem Falloy gesprochen«, sagte Zuck. »Es wird keine weiteren Blumen auf diesem Markt geben; das Beet hat nur diese eine hergegeben. Im Herbst wird es neue geben; die Knospen haben sich bereits gebildet. Aber der Falloy sagt, beim nächsten Mal müßt Ihr mit Gold bezahlen; Silber sei nicht genug für eine solch berauschende Ware.«
Melancthe stieß einen leisen Fluch aus. »Zuck, ich werde im Herbst wiederkommen, und Ihr müßt die Blumen für mich reservieren. Ausschließlich für mich, hört Ihr? Einverstanden?«
»Nur, wenn Ihr in Gold bezahlt.«
»In diesem Punkt wird es keine Schwierigkeiten geben.«
IV
Zurück in Trilda, begab sich Shimrod sofort in sein Arbeitszimmer. Im Pantologischen Verzeichnis fand er einen Verweis auf ›Tanjecterly‹:
Die einzige Informationsquelle bezüglich Tanjecterly ist das überaus seltene und einigermaßen fragwürdige Werk ›Twittens Almanach‹. Tanjecterly wird beschrieben als eine aus einer Reihe oder einem Zyklus von zehn übereinanderliegenden Welten, zu denen auch die unsrigegehört.GegenseitigeVerbindungen sind schwer festzustellen, da sie von höchst vager Natur sind.
Twitten zufolge ist Tanjecterly in bestimmten alltäglichen Aspekten unserer Welt ähnlich, unterscheidet sich aber von ihr in anderen Bereichen ganz erheblich. Die Bewohnerschaft setzt sich laut Twitten aus Wesen verschiedenster Arten zusammen, darunter auch solche, die eine verblüffende Ähnlichkeit mit Menschen aufweisen, aber auch andere, bei denen die Ähnlichkeit bestenfalls oberflächlich ist. Die Lebensbedingungen in Tanjecterly werden als schädlich beschrieben; für Personen, die dorthin reisen, ohne gewisse Anpassungen bei sich vorzunehmen, wirken sie sich, so Twitten, tödlich aus. Einschränkend muß hier freilich angemerkt werden, daß Tanjecterly möglicherweise nichts weiter als eines von Twittens berüchtigten Lügengespinsten ist; seine Kaprizen und Possen sind an anderer Stelle ausführlich dokumentiert. Andererseits gilt Twittens Almanach als ein Werk von großer
Komplexität und innerer Kohärenz, so daß vor einem vorschnellen Urteil gewarnt werden muß.
Shimrod klopfte gegen die silberne Glocke. Eine Stimme sagte: »Shimrod, du arbeitest spät. Es ist tiefe Nacht.«
»Ich wurde von der Hexe Melancthe zu einem Stelldichein gerufen. Ich traf sie im Gasthof
Zur Lachenden Sonne und zum Weinenden Mond
, und ich war sicher, daß sie mich gerufen hatte, um mir Neuigkeiten zu berichten; und genau so war es, wenngleich sie sich viel Zeit damit ließ.
Sie erwähnte einen Zauberer von geringem Rang namens Vishbume, ein früherer Lehrling Hippolitos. Vishbume konferierte mit Tamurello, der ihn zu König Casmir von Lyonesse schickte. Danach, so Melancthe, reiste Vishbume nach Watershade, entführte
– aus Gründen, die
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