Lyonesse 2 - Die grüne Perle
Vorstellungskraft.«
»Daran zweifle ich nicht im mindesten! Meiner niederen, erbärmlichen Seele sind solche Ekstasen verwehrt.« Shimrod schaute sich auf der Wiese um. »Wo ist denn dieser Händler der Träume?«
Melancthe wies hinüber. »Dort! Ich sehe Yossip, aber wo sind meine lieblichen Blumen? Bestimmt hat er sie für mich beiseite gelegt.«
Melancthe eilte zum Stand. »Yossip, guten Morgen
– und wo sind meine Blumen?«
Yossip schüttelte betrübt den Kopf. »Liebe Dame, in diesem Fall ist die Wahrheit einfacher, deutlicher und überzeugender als jede Lüge. Ich will sie Euch sagen, die volle und reine Wahrheit. Heute früh, als ich auszog, die Blüten zu schneiden, fand ich einen bestürzenden Anblick vor. Alle Pflanzen waren herabgesunken und gestorben, als habe sie der Mehltau verwüstet! Es gibt keine Pflanzen mehr! Es gibt keine Blumen mehr!«
Melancthe erstarrte. »Wie ist das möglich?« wisperte sie. »Muß es denn immer so sein? Daß ich etwas Süßes und Kostbares finde, nur um es sogleich wieder zu verlieren? Yossip, wie kannst du so grausam sein? Die ganze Nacht habe ich mich nach diesen Blumen gesehnt!«
Yossip zuckte die Achseln. »Wahrlich, liebe Dame, die Schuld liegt nicht bei mir, und somit müssen die Münzen, die Ihr mir angezahlt habt, auch nicht zurückerstattet werden.«
»Yossip«, sagte Shimrod, »gestatte, daß ich dir den ersten Grundsatz der Geschäftsethik ins Gedächtnis rufe: Wenn du nichts von Wert zu geben hast, kannst du auch keine Bezahlung erwarten, von allem anderen abgesehen. Ich spreche da nur als unbeteiligter Zuschauer.«
»Ich kann nicht so viel gutes Gold wieder hergeben!« rief Yossip aus. »Meine Pflanzen sind vernichtet; ich verdiene Mitleid, nicht neue Schicksalsschläge! Mag die Dame sich etwas anderes aus meinen Schätzen erwählen! Ich werde ihr nichts vorenthalten. Hier ist eine absolute Kostbarkeit: ein schwarzer Kiesel vom Grund des Flusses Styx! Und betrachtet diese anrührende Szene, wie das Kind die Mutter liebkost – ein Mosaik aus Vogelaugen in Gummi. Ich habe auch eine gute Auswahl von Amuletten mit großer Macht auf Lager, und dieser magische Bronzekamm kräftigt das Haar, vertreibt Ungeziefer und heilt den Grind. Das alles sind wertvolle Artikel!«
»Ich will nichts davon«, versetzte Melancthe schroff. »Immerhin – laß mich das grüne Kleinod sehen, das du da ausstellst.«
Yossip zischte zwischen den Zähnen und nahm zögernd die flache Schachtel herunter, in der die grüne Perle lag. »Ich bin nicht sicher, daß ich mich von diesem seltenen Objekt trennen möchte.«
»Komm! Du hast selbst erklärt, daß mir nichts vorenthalten werden soll! Diese Herren sind Zeugen deiner Worte!« Sie deutete auf Shimrod und zwei oder drei andere, die stehengeblieben waren, um den Streit zu beobachten.
»Wiederum als unbeteiligter Zuschauer muß ichMelancthes Äußerung bestätigen«, sagte Shimrod. Er sprach in abwesendem Ton, denn er versuchte, eine Erinnerung zu fassen, die sich ihm für den Augenblick entzog. Irgendwo hatte er von einer grünen Perle gehört, aber der Zusammenhang wollte ihm nicht einfallen. Die grüne Perle, entsann er sich, war irgendein böses Symbol gewesen.
»Ich auch!« bekräftigte ein rotgesichtiger junger Bauer mit gelbem, von einer dunkelgrünen Holzfällermütze gebändigtem Haarschopf. »Ich weiß nicht, worum es geht, aber ich kann beschwören, was ich mit meinen Ohren gehört habe!«
»Also!« sagte Melancthe triumphierend. »Bringe die Schachtel näher, damit ich die Perle sehen kann!«
Erbost nahm Yossip die Schachtel herunter und hielt sie so, daß Melancthe nur einen kurzen Blick auf die Perle erhaschen konnte. In säuerlichem Ton erklärte er dabei: »Dieses Kleinod ist zehnmal soviel Gold wert, wie Ihr mir bezahlt habt. So billig kann ich es nicht weggeben.«
Melancthe beugte sich vor und reckte den Hals, um besser in die Schachtel blicken zu können. »Sie ist außergewöhnlich!« hauchte sie. Die Blumen waren vergessen. Sie wollte nach der Perle greifen, doch Yossip zog die Schachtel zurück.
»Komm!« verlangte Melancthe. »Benimmt sich so ein anständiger Händler? Etwas anbieten, den Kunden einen kurzen Blick gestatten und die Ware dann wegreißen, als wäre er ein Dieb? Wo ist dein Herr, wo ist Zuck? Ihm wird solches Benehmen nicht gefallen!«
Yossip zog den Kopf zwischen die Schultern und schnitt verwirrt eine Grimasse. »Kümmert Euch nicht um Zuck. Er hat mir freie Hand gegeben.«
»Dann
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