Lyonesse 2 - Die grüne Perle
Komplott bloß. Die Frau war Melancthe, und sie arbeitete auf Tamurellos Geheiß. Was war das Ziel der beiden? Hierin lag kein Geheimnis. Tamurello trachtete danach, Murgen zu verwirren und zu schwächen, indem er seinen Sproß Shimrod vernichtete.
Eine einzige Frage blieb, der uralte gequälte Aufschrei: »Wie kann eine, die so schön ist, so gemein und niederträchtig sein?«
Was diesen Punkt betraf, vermochte auch Murgen ihm keine Erklärung zu bieten.
Shimrod fand sich zu dem Stelldichein ein, aber das Komplott war verdorben worden, und Shimrod behielt sein Leben. Später, bei seinem ersten Besuch in Ys, entdeckte er den Strand, über den Melancthe geschritten war, und eine halbe Meile weiter im Norden die weiße Villa, vor deren Balustrade er in seinen Träumen auf Melancthe gewartet hatte.
Shimrod konnte inzwischen nüchtern und ohne Leidenschaft, ja sogar mit einer gewissen Neugier, an jene Episode zurückdenken. Und da war noch etwas: eine Verpflichtung, die nie erfüllt worden war. Die Frage, wie Melancthe sich zu dieser Verpflichtung stellen würde, veranlaßte Shimrod, sich aus Ys davonzustehlen und den Strand entlangzuschlendern.
Er kam zu der Villa und blieb neben der Balustrade stehen;
Déjà vu
hing schwer in der Luft. Als er, wie weiland in seinen Träumen, den Strand hinaufblickte, sah er Melancthe nahen.
Wie in seinen Träumen trug sie ein knielanges Kleid und ging barfuß. Wenn sie der Anblick Shimrods überraschte, so zeigte sie dies nicht, und auch ihr Schritt wurde weder schneller noch langsamer.
Melancthe erreichte das Tor. Sie warf einen flüchtigen Blick auf Shimrod; dann stieg sie, seine Anwesenheit mißachtend, die Stufen zur Terrasse hinauf und verschwand im Schatten des Säulengangs.
Shimrod folgte ihr und betrat die Villa, die er noch nie zuvor besucht hatte.
Melancthe durchquerte die Halle und ging in ein Zimmer mit bogenförmigen Fenstern, welche dem Meer zugewandt waren. Sie setzte sich auf einen Diwan neben einem niedrigen Tisch, lehnte sich zurück und starrte zum Horizont.
Shimrod zog ruhig einen Stuhl zu sich heran und setzte sich ans Ende des Tisches, wo er sie beobachten konnte, ohne den Kopf wenden zu müssen.
Eine Dienstmagd kam mit einem großen Krug herein und schenkte Melancthe einen Kelch Weinpunsch ein. Ein angenehmer Duft von Orangen und Zitronen drang Shimrod in die Nase. Melancthe, die nach wie vor keine Notiz von Shimrod nahm, nippte an ihrem Kelch und wandte ihren Blick wieder hinaus auf das Meer.
Shimrod betrachtete sie mit schiefgelegtem Kopf. Er spielte einen Moment lang mit dem Gedanken, den Krug in beide Hände zu nehmen und daraus zu trinken, kam dann aber zu dem Schluß, daß einer solchen Handlung der Beigeschmack von Pöbelhaftigkeit anhaftete und seine ohnehin fragwürdige Duldung womöglich noch mehr gefährden würde. Statt dessen bewirkte er einen kleinen Zauber. Ein Vogel mit blauem und rotem Gefieder flog in den Raum, umkreiste dreimal Melancthes Haupt und ließ sich sodann auf dem Rand ihres Kelches nieder. Er zwitscherte ein oder zwei Mal, ließ ein Kotbällchen in den Pokal fallen und entflog wieder.
Mit bemühter Bedächtigkeit beugte Melancthe sich vor und stellte den Kelch auf den Tisch.
Shimrod sprach einen weiteren Zauber. Ein kleiner Mohrensklave mit einem riesigen blauen Turban, einem rot und blau gestreiften Hemd und hellblauen Pumphosen erschien im Türrahmen. Er trug ein Tablett mit zwei silbernen Kelchen. Er hielt das Tablett von Melancthe und wartete.
Mit gleichmütiger Miene nahm Melancthe einen der Kelche und stellte ihn auf den Tisch. Nun trat der Junge zu Shimrod, der mit einem freundlichen Lächeln den anderen Kelch entgegennahm und mit einem Ausdruck von Behagen daraus trank. Der Mohr entfernte sich aus dem Raum.
Die Lippen in der Mitte gespitzt, an den Winkeln traurig herunterzogen, studierte Melancthe weiterhin das Meer.
Wie es jetzt in ihr arbeitet! dachte Shimrod. In ihrem Hirn formuliert sie Plan um Plan, um dann einen nach dem andern sogleich wieder als unwirksam oder kraß oder unvereinbar mit ihrer Würde zu verwerfen. Sie findet keine Worte, die sie gefeit sein lassen gegen Vorwürfe oder Forderungen gleich welcher Art, die ich vorzubringen beliebe. Solange sie schweigt, verpflichtet sie sich zu nichts und glaubt, mich in Schach halten zu können! Aber der Druck in ihr ward immer stärker; an irgendeinem Punkt muß sie die Initiative ergreifen.
Shimrod bemerkte ein leichtes Zucken um Melancthes
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