Lyonesse 2 - Die grüne Perle
Freunde.«
»Und was ist mit Tamurello?«
»Er ist kein Freund.«
»Ich hoffe, er ist nicht Euer Geliebter.«
»Beziehungen solcher Art interessieren mich nicht.«
»Welche Art von Beziehungen interessiert Euch dann?«
Melancthe blickte sich über die Schulter, und als sie merkte, wie dicht Shimrod hinter ihr stand, wich sie einen Schritt zur Seite. »Ich habe mir darüber keine Gedanken gemacht.«
»Möchtet Ihr Zauberkunst lernen?«
»Ich habe nicht den Wunsch, eine Hexe zu sein.«
Shimrod trat zurück zu seinem Stuhl. »Ihr seid so etwas wie ein Rätsel.« Er klatschte in die Hände, und die Dienstmagd erschien. »Melancthe, würdet Ihr den Wein auftragen lassen?«
Melancthe seufzte und gab der Dienstmagd ein Zeichen. Dann schritt sie in einer Haltung gezwungener Resignation zu dem Diwan zurück. Einen Moment später kam die Dienstmagd mit Wein und zwei Kelchen wieder und schenkte sowohl Shimrod als auch Melancthe ein.
»Früher«, sagte Shimrod, »hielt ich Euch für ein Kind im Körper einer Frau.«
Melancthe lächelte ein kühles Lächeln. »Und jetzt?«
»Das Kind scheint davongewandert zu sein.«
Melancthes Lächeln bekam etwas Sehnsüchtiges.
»Die Frau ist so schön wie die Morgendämmerung«, sagte Shimrod. »Ich frage mich, ob sie sich dessen bewußt ist. Sie scheint so rein zu sein; sie wendet ein gewisses Maß an Mühe für die Pflege des Haars auf. Sie verhält sich wie eine Frau, die sich ihres Zaubers sehr wohl bewußt ist.«
Melancthe sagte mit farbloser Stimme: »Ihr scheint darauf aus zu sein, mich zu langweilen.«
Shimrod überhörte die Bemerkung. »Man sollte glauben, daß Ihr zufrieden mit Euch und Eurem Leben seid. Wenn ich indes versuche, in Euren Geist zu dringen, habe ich das Gefühl, mich zu verlieren wie in einem Dschungel.«
»Das rührt daher, daß ich kein wirkliches menschliches Wesen bin«, erwiderte Melancthe mit kühler Gelassenheit.
»Wer lehrte Euch dies? Tamurello?«
Melancthe nickte interesselos. »Das sind langweilige Gesprächsthemen. Wann geht Ihr endlich?«
»Bald. Doch sagt mir zuerst dies: Warum lehrte Euch Tamurello solch außerordentlichen Unsinn?«
»Er lehrte mich nichts. Ich weiß nichts. Mein Geist ist leer wie die dunklen Orte hinter den Sternen.«
»Haltet Ihr mich für ein Menschenwesen?« frug Shimrod.
»Das vermute ich.«
»Ich bin Murgens Sproß.«
»Das ist etwas, wovon ich nichts verstehe.«
»Zu einer Zeit, die in ferner Vergangenheit liegt, wandelte Murgen in dieser Gestalt in die Welt hinaus, um handeln und sehen zu können wie jemand anderes als der mythische Murgen. Ich weiß nichts von jenen Zeiten; Murgen lenkte meine Taten, und die Erinnerungen sind die seinen. Durch Gewohnheit nahm Shimrod schließlich Substanz an und wurde wirklich und ward nicht länger mit Murgen verbunden.
Nun bin ich Shimrod. Sollte ich mich nicht für einen Menschen halten? Ich sehe aus wie ein Mensch. Ich kenne Hunger und Durst; ich esse und trinke, und zu gehöriger Zeit entledige ich mich der Schlacke. Ich kenne Freude und Kummer. Wenn ich eure Schönheit schaue, spüre ich ein schmachtendes Sehnen, welches zugleich süß und schmerzvoll ist. Kurz, ich bin Mensch durch und durch, und wenn nicht, so merke ich es nicht.«
Melancthe wandte den Blick wieder auf das Meer. »Meine Gestalt ist menschlich; mein Körper übt wie der Eure seine Funktionen aus; ich sehe, ich höre, ich schmecke. Aber ich bin leer. Ich habe keine Gefühle. Ich tue nichts als den Strand entlang zu schlendern.«
Shimrod setzte sich zu ihr auf den Diwan und legte ihr den Arm um die Schultern. »Laßt mich die Leere ausfüllen!«
Melancthe warf ihm einen höhnischen Seitenblick zu. »Ich fühle mich wohl, so wie ich bin.«
»Ihr werdet Euch wohler fühlen, wenn Ihr anders seid. Viel wohler.«
Melancthe entzog sich ihm und trat wieder zum Fenster.
Shimrod, dem nichts mehr zu sagen blieb, wählte diesen Augenblick, um zu scheiden, und er tat dies ohne ein Wort des Abschieds.
Am folgenden Tag ging Shimrod abermals zu der weißen Villa, und er wählte dazu bewußt den gleichen Zeitpunkt wie tags zuvor. Wenn Melancthe ihrer Gewohnheit vom Vortag folgte, würde er etwas über ihre Stimmung erfahren. Er wartete eine Stunde lang neben der Terrasse, aber Melancthe tauchte nicht auf. Nachdenklich kehrte er zurück nach Ys.
Während des späten Nachmittags wich das schöne Wetter vor einer frischen westlichen Brise zurück; ein Geflecht von Federwolken jagte hoch am Himmel dahin,
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