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Lyonesse 2 - Die grüne Perle

Titel: Lyonesse 2 - Die grüne Perle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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Mundwinkel. Sie hat sich zu einem Entschluß durchgerungen, sagte er sich. Der am wenigsten elegante, aber zugleich wirkungsvollste Ausweg, zu dem sie jetzt Zuflucht nehmen könnte, wäre es, aufzustehen und den Raum zu verlassen; ich kann ihr natürlich schlecht ins Badezimmer folgen, ohne meinen Ruf als ritterlicher Galan aufs Spiel zu setzen. Nun denn, wir werden sehen! Ihr Verhalten wird großen Aufschluß über ihre Gefühlslage geben.
    Melancthe legte den Kopf zurück und schloß die Augen, so als wollte sie einschlafen. Shimrod erhob sich und sah sich im Raum um. Er enthielt wenig Mobiliar und wies einen verblüffenden Mangel an persönlichen Gegenständen auf: es gab weder Kunstgegenstände noch Kuriositäten, ja nicht einmal Schriftrollen, Bücher oder Mappen. Auf einem Seitentisch stand eine grüne Fayenceschale mit einem Dutzend Orangen; darum lagen wahllos verstreut mehrere vom Wasser glatt gewaschene Kieselsteine, die Melancthes Gefallen gefunden hatten. Den Boden bedeckten drei maurische Vorleger, in einem kühlen Muster aus Blau, Schwarz und Rot auf isabellfarbigem Untergrund gewebt. Ein schwerer schmiedeeiserner Kandelaber hing von der Decke. Auf dem Tisch vor Melancthe stand eine bronzene Schale mit einem Bukett orangefarbener Ringelblumen, zweifelsohne von der Dienstmagd hergerichtet. Im wesentlichen, fand Shimrod, war der Raum neutral und spiegelte nichts von Melancthe wider.
    Schließlich sprach Melancthe: »Wie lange gedenkt Ihr hierzubleiben?«
    Shimrod ging zu seinem Stuhl zurück. »Ich bin für den Rest des Tages frei, und für die Nacht ebenfalls, wenn es dazu kommen sollte.«
    »Ihr habt eine höchst nachlässige Einstellung gegenüber der Zeit.«
    »Nachlässig? Das glaube ich nicht. Es ist ein hochinteressantes Thema. Nach den Esq von Galizien ist die Zeit eine dreizehnseitige Pyramide. Sie glauben, daß wir auf dem Scheitelpunkt stehen und die Tage, Monate und Jahre in allen Richtungen überblicken. Dies ist die erste Prämisse der Thudhischen Perdurik, aufgestellt und verkündet von Thudh, dem galizischen Gott der Zeit, dessen dreizehn Augen ringförmig um den Kopf angeordnet sind, so daß er in alle Richtungen gleichzeitig zu blicken vermag. Die visuelle Fähigkeit ist natürlich symbolisch.«
    »Hat diese Doktrin irgendeine unmittelbare Auswirkung?«
    »Das würde ich meinen. Neuartige unorthodoxe Ideen halten unseren Geist in Bewegung und beleben unser Gespräch. So wird es Euch zum Beispiel, während wir über Thudh diskutieren, interessieren zu erfahren, daß die esqischen Magier jedes Jahr hundert menschliche Fötusse verändern, in der Hoffnung, daß vielleicht einer von ihnen mit dreizehn Augen rings um den Kopf geboren werde – würden sie doch auf diese Weise Thudhs Avatar erkennen! Bisher sind neun Augen das Höchste, was sie zustandegebracht haben, und diese werden Priester des Kults.«
    »Ich finde kein großes Interesse an solchen Dingen, noch in unserem Gespräch als ganzem«, erwiderte Melancthe. »Ihr könnt gehen, sobald Ihr die Empfindung habt, daß die Höflichkeit diese Forderung an Euch stellt.«
    »Wenn dieser Zeitpunkt gekommen ist, werde ich gehen«, entgegnete Shimrod. »Doch nun werde ich, wenn Ihr gestattet, erst einmal Eure Dienstmagd rufen, auf daß sie uns mehr Wein bringt und uns vielleicht einen Topf Miesmuscheln zubereitet, in Öl und Knoblauch gekocht. Dies, mit frischem Brot serviert, ist ein herzhaftes, schmackhaftes Gericht, welches von Leuten mit gutem Gewissen verzehrt wird.«
    Melancthe wandte sich vom Tisch ab. »Ich habe keinen Hunger.«
    »Seid Ihr müde?« fragte Shimrod besorgt. »Dann werde ich mit Euch auf Eurem Bett ruhen.«
    Melancthe bedachte ihn mit einem langen goldenen Blick aus dem Augenwinkel. Dann sagte sie: »Was immer ich tue, ich ziehe es vor, dabei allein zu sein.«
    »Wirklich? Zu früheren Zeiten war das aber nicht so. Da suchtet Ihr mich regelmäßig auf.«
    »Ich habe mich vollkommen verändert seit jener Zeit. Ich bin in keiner Weise mehr dieselbe.«
    »Warum diese Metamorphose?«
    Melancthe erhob sich. »Durch ein stilles, zurückgezogenes Leben hatte ich gehofft, Störungen meiner privaten Sphäre vermeiden zu können. Zu einem gewissen Grad ist mir das auch gelungen.«
    »Und jetzt habt Ihr keine Freunde mehr?«
    Melancthe hob die Schultern und trat ans Fenster. Shimrod folgte ihr und stellte sich dicht hinter sie. Der Duft von Veilchen stieg ihm in die Nase. »Eure Antwort ist vieldeutig.«
    »Ich habe keine

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