Lyonesse 2 - Die grüne Perle
prahlerischem Gesichtsausdruck erst zu den Truppen hinüber, dann zu den am Galgen baumelnden Leichen hinauf.
Aillas wandte sich den ehemaligen Kerkerinsassen zu und sagte mit trauriger Stimme: »Seid unbesorgt; ihr seid frei! Niemand wird euch jetzt mehr Leid antun.«
Einer der Männer erwiderte mit heiserem Flüstern: »
Jetzt
ist jetzt; was war, ist vorbei! Mein Name ist Nols; das weiß ich nur, damit ich mich verstecken kann, wenn ich gerufen werde. Der Rest ist wie ein Traum.«
Ein anderer blickte mit leuchtenden Augen zum Galgen. Er zeigte mit dem Finger darauf: »Dort hängt Sir Hune, schwer wie ein Sack Schmalz! Ist das nicht wunderbar? Sir Hune tot – fürwahr ein köstlicher Anblick! Er ist mir so lieb wie das Gesicht meiner Mutter!«
Auch Nols streckte den Finger aus. »Ich sehe Gissies und Nook und Luton! Sollen sie noch immer unsere Peiniger sein!«
»Gewiß nicht«, versicherte Aillas. »Sie werden gehenkt, was vielleicht ein zu schnelles und leichtes Ende für sie ist. Sergeant! Knüpft diese drei Scheusale auf!«
»Halt!« schrie der junge Folterknecht Luton, der plötzlich in Schweiß gebadet war. »Wir gehorchten Befehlen, mehr nicht! Hätten wir das nicht getan, wären sofort ein Dutzend andere zur Stelle gewesen, um unsere Posten zu übernehmen!«
»Und würden heute an eurer Statt am Galgen baumeln ... Sergeant, hoch mit ihnen!«
»Hurra!« jubelte mit tremolierender Stimme Nols, und seine Leidensgenossen fielen im Chor mit ein. »Aber was ist mit dem Schwarzen Thrumbo? Warum kommt er ungeschoren davon? Da steht er und lächelt mild und freundlich!«
»Wer ist der Schwarze Thrumbo?«
»Der Erste Bogenschütze von Sir Hune. Er zieht die Peitsche vor, weil ihm ihr Lied so sehr gefällt. Ho, Schwarzer Thrumbo, ich sehe dich! Warum grüßt du mich nicht? Du warst immer so vertraut mit mir und meinen Gliedern; jetzt bist du so zurückhaltend!«
Aillas folgte mit dem Blick Nols' ausgestrecktem Finger. »Welcher von denen ist Thrumbo?«
»Der mit dem Lederhelm und dem Mondgesicht. Er ist der Oberste unter den Folterknechten.«
Aillas rief: »Thrumbo, du kannst hinüber zum Galgen treten! Ich habe in meinem Heer keine Verwendung für Folterknechte.«
Thrumbo wandte sich um und versuchte den Hang hinaufzustürmen, in der verzweifelten Hoffnung, so die Freiheit zu gewinnen. Doch da er ziemlich korpulent und kurzatmig war, wurde er rasch eingeholt und zum Galgen geschleppt. Eine Stunde später kehrte Aillas mit seinen Truppen nach Doun Darric zurück.
III
Die Barone von Süd-Ulfland wurden zu einem zweiten Konklave nach Doun Darric zitiert. Bei dieser Gelegenheit brutzelte Rindfleisch am Spieß, und ein Faß guten Weines stand zum Anzapfen bereit.
Heute gab es keine Schwänzer; alle Barone von Süd-Ulfland waren anwesend. Ihre Stimmung, als sie sich miteinander unterhielten und bei Tische saßen, war ein wenig anders als bei der ersten Zusammenkunft. Sie schienen mißmutig und nachdenklich, eher bekümmert als streitsüchtig und aufsässig.
Bevor zuviel Wein verzehrt war, ließ Aillas seine Botschaft verkünden. Heute saß er selbst schweigend da, während eine Fanfare von zwei Trompeten Ruhe gebot. Sodann stieg ein Herold auf eine Bank und las von einer Schriftrolle:
»Ein jeder höre diese Worte, welche von König Aillas sind! Ich spreche in seiner Stimme! ›Jüngst verstieß Sir Hune von Dreikiefern gegen meine ausdrückliche Order, und alle hier Anwesenden wissen, welche Folgen dies für ihn hatte. In seinen Verliesen hielt er Gefangene – entgegen dem Geist, wenn nicht dem Buchstaben meines Gesetzes.
Ich werde in Kürze ein Gesetzbuch herausgeben, übereinstimmend mit dem von Troicinet und Dascinet. Für jeden Bezirk des Landes werden Richter und Magistrate ernannt werden. Ihnen wird jegliche Rechtsprechung obliegen, die hohe, die mittlere und die niedere. Die Personen, die heute hier anwesend sind, werden dadurch von ihrer gewiß lästigen Verantwortung entbunden.
Alle Gefangenen, die von den hier Anwesenden in Haft gehalten werden, sind in die Obhut meiner Bevollmächtigten zu entlassen, die zu diesem Zwecke jeden einzelnen von euch zu seinem Hause begleiten werden. Ab sofort ist es euch untersagt, irgendeinen meiner Untertanen in Haft zu nehmen, einzukerkern oder in sonstiger Weise seiner Freiheit zu berauben. Jeder Verstoß gegen dieses Gesetz wird mein königliches Mißfallen erregen, welches, wie Sir Hune erfahren mußte, entschieden und folgenschwer ist.
Überdies
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