Lyonesse 2 - Die grüne Perle
ungeschützt gelassen, darauf bauend, daß die Ska die Stadt auch weiterhin als neutrale Zone betrachten würden.
Die Ska jedoch schlugen unvermittelt zu, um ihre Politik bezüglich Süd-Ulflands unmißverständlich deutlich zu machen; sie marschierten mit vier Regimentern Kavallerie und Fußtruppen in Suarach ein und nahmen die Stadt ohne auf Widerstand irgendwelcher Art zu stoßen.
Unverzüglich preßten sie Arbeitskolonnen aus der Bevölkerung der Stadt und begannen mit jener wilden Zielstrebigkeit, die ihren Aktivitäten eigentümlich war, die Befestigungsanlagen zu reparieren, und Suarach wurde zu einer tödlichen Beleidigung für Aillas und die Würde seiner Herrschaft, welche er nicht ohne herben Prestigeverlust hinnehmen konnte.
Zwei Tage lang blieb Aillas in seinem Hauptquartier in Doun Darric und rechnete seine Chancen aus. Eine sofortige Gegenattacke mit dem Ziel, Suarach im Sturm zurückzuerobern, schien die am wenigsten empfehlenswerte seiner Möglichkeiten. Die Ska genossen den Vorteil kurzer rückwärtiger Verbindungen; ihre Soldaten waren den ungeübten ulfischen Truppen in jeder Kategorie, nach der Soldatentum bemessen werden konnte, haushoch überlegen: das galt sowohl für die Ausbildung als auch für die Disziplin, das Führungswesen und die Waffentechnik. Der größte Vorteil jedoch, den sie in die Waagschale zu werfen hatten, war die schon fast religiöse Überzeugung, sie seien unbesiegbar. Die troicischen Truppen, so schätzte Aillas, waren den Ska in puncto Ausbildung, Taktik und Waffentechnik da schon eher ebenbürtig, doch was das schiere Kampfvermögen betraf, kamen auch sie nicht an die Ska heran. 14
Aillas saß allein in dem kleinen Landhaus, das ihm als Hauptquartier in Doun Darric diente, und schaute hinaus auf das regengepeitschte Moorland: ein trostloser Anblick, der zu seiner gegenwärtigen bedrückenden Lage paßte. Wenn er Truppen, Schiffe und Proviant aus Troicinet hier band, in einer Größenordnung, die ausreichen sollte, um die Ska zu besiegen, dann riskierte er nicht nur Unzufriedenheit zu Hause, sondern entblößte Troicinet auch gegen einen plötzlichen Angriff durch König Casmir von Lyonesse (der so oder so frohlocken würde, wenn er erführe, daß Aillas in einen verzweifelten Krieg mit den Ska verwickelt wäre).
In diesem Moment richtete sich die Aufmerksamkeit eines jeden Barons, Ritters und Landherrn von Süd-Ulfland gebannt auf ihn. Wenn er nicht zurückschlüge, würde er seine Glaubwürdigkeit als tauglicher Herrscher verlieren und ein zweiter Oriante werden, hilf- und ratlos, sobald er sich der Macht der Ska gegenübersah.
Und wie er so am Fenster stand und übers Moor blickte, da gelangte er schließlich zu einer Entscheidung – welche eigentlich nicht so sehr ein Handlungsplan als vielmehr eine Liste von Antworten war, zu denen er
nicht
greifen durfte: kein Angriff auf Suarach, keine Verstärkungen aus Troicinet, abgesehen von einigen Kriegsschiffen, die die Schiffahrt der Ska störten, und keine Hinnahme der Situation, so als wäre nichts geschehen. Was blieb also? Nur die klassischen Waffen des Unterlegenen: List und Schlauheit.
Und wie sah es in Nord-Ulfland aus? Die Ska walteten dort nach Belieben; sie benutzten das Gebiet als ein wildes Hinterland, das sie irgendwann vereinnahmen würden. Nun beuteten sie seine Holz- und Erzreserven aus und preßten die verstreut lebenden Einwohner in ihre Arbeitsbrigaden, wie es ihnen gerade paßte. Aus dem Küstenstreifen, der als das ›Vorland‹ bekannt war, waren die Ulfländer bereits völlig vertrieben. In das entvölkerte Land waren sodann die Ska in großen Scharen geströmt, um ihre seltsamen vielgiebligen Dörfer zu bauen und nicht nur die fruchtbaren Anbauflächen zu kultivieren, sondern auch die Ländereien, die die Ulfländer zu Weideland hatten verfallen lassen. Andernorts drängten sich ein paar Bauern in erbärmlichen Dörfern zusammen und versteckten sich, wenn die Fangtrupps der Ska nahten, obwohl in Xounges König Gax immer noch offiziell seine Herrschaft aufrechterhielt.
Dunkelheit senkte sich über das regendurchweichte Moorland. Aillas verzehrte ein Abendessen aus Brot und Linsen, dann saß er weitere zwei Stunden allein am Feuer, ehe er sich zu Bett begab. Es dauerte lange, bis er endlich Schlaf fand.
Am Morgen schien wie durch ein Wunder die Sonne hell von einem strahlend blauen Himmel, und das noch regennasse, im Sonnenlicht gleißende Moor wirkte nicht mehr gar so schauerlich.
Aillas
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