Lyonesse 3 - Madouc
andere wisperte: »Unreife Äpfel, unreife Äpfel!«
Die erste Stimme flüsterte: »Wann wird sie es erfahren?«
Madouc rief entrüstet aus: »Von Elfenrechts wegen fordere ich euch auf: Ärgert mich nicht!«
Die Stimmen wurden höhnisch. »Und hochnäsig ist sie obendrein!« mokierte sich die erste.
»Mit der ist nicht gut Kirschen essen!« sagte die andere.
Madouc ignorierte die Bemerkungen. Sie schaute zum Himmel und entschied, daß es fast Mittag war. Mit leiser Stimme rief sie: »Twisk! Twisk! Twisk!«
Ein Moment verging. Als wäre ihr Blick plötzlich scharf geworden, sah Madouc vor sich auf der Wiese hundert schleierhafte Gestalten in unergründlichem Treiben. Über dem Hügel in der Mitte stieg wirbelnd ein Nebelschleier auf.
Madouc wartete und schaute dem Treiben mit kribbelnden Nerven zu. Wo war Twisk? Eine der Gestalten kam mit trägem Schritt auf sie zu geschlendert; im Näherkommen gewann sie zunehmend an Substanz, und schließlich erkannte Madouc die bezaubernden Züge der Elfe Twisk. Sie trug ein knielanges Gewand aus hauchfeinem Flor, das die Wirkung ihrer biegsamen und faszinierenden Konturen auf das vorteilhafteste unterstrich. Heute hatte sie ein blasses Lavendel als passende Farbe für ihr Haar gewählt; wie schon bei der ersten Begegnung umschwebte es ihren Kopf und ihr Antlitz wie eine weiche Wolke. Madouc sah das Gesicht forschend an, in der Hoffnung, darin Anzeichen von mütterlicher Güte zu entdecken. Twisks Gesichtsausdruck war jedoch teilnahmslos.
»Mutter!« schrie Madouc. »Ich bin glücklich, dich wiederzusehen!«
Twisk blieb stehen und maß Madouc von Kopf bis Fuß. »Dein Haar schaut aus wie ein Dohlennest«, hielt sie ihr vor. »Wo ist der Kamm, den ich dir geschenkt habe?«
Madouc antwortete hastig: »Ein paar Hanswurste vom Jahrmarkt haben mir mein Pferd Juno gestohlen, mitsamt Satteltasche, Sattel und Kamm.«
»Hanswurste und Unterhaltungskünstler sind ein unzuverlässiges Volk; laß dir dies eine Lehre sein. Auf jeden Fall mußt du dich fein machen, schon gar, wenn du an den Lustbarkeiten auf unserem großen Fest teilnehmen willst! Wie du sehen kannst, ist das fröhliche Treiben schon im Gange.«
»Ich weiß nichts von dem Fest, liebe Mutter. Auf Lustbarkeiten war ich nicht gefaßt.«
»Ach? Es wird eine großartige Festlichkeit werden! Schau doch nur, wie hübsch alles geschmückt ist!«
Madouc blickte über die Wiese und bemerkte, daß sich unterdessen alles verändert hatte. Die wirbelnden Nebelschwaden über dem Hügel hatten sich zu einer hohen Burg mit zwanzig Türmen verdichtet, an deren Spitzen lange Wimpel fröhlich im Winde flatterten. Vor der Burg waren Pfosten aus schneckenförmig gezogenem Silber und Eisen in die Erde gerammt worden, die, miteinander verbunden durch Blumengewinde, schmuckvoll einen langen Tisch umfriedeten, der sich unter der Last von köstlichen Speisen und geistigen Getränken in großen Flaschen schier bog.
Das Fest hatte offenbar noch nicht begonnen, wenngleich schon jetzt Elfen heiter und frohgelaunt auf der Wiese lustwandelten und tollten – bis auf einen, der auf einem Pfosten kauerte und sich unverwandt mit großer Emsigkeit kratzte.
»Ich bin wohl in einem glücklichen Augenblick angekommen«, sagte Madouc. »Was ist der Anlaß zu diesem frohen Fest?«
»Wir feiern ein bemerkenswertes Ereignis«, sagte Twisk. »Es ist die Befreiung Falaels von sieben langen Jahren des stetigen Juckens; König Throbius bestrafte ihn damit einst für seine Boshaftigkeit und Mutwilligkeit. Der Bannfluch wird bald abgelaufen sein; bis dahin sitzt Falael auf jenem Pfosten dort und kratzt sich so eifrig wie eh und je. So, und nun sage ich dir wieder einmal Lebewohl und wünsche dir eine glückliche Zukunft.«
»Warte!« schrie Madouc. »Freut es dich nicht, mich zu sehen, deine eigene liebe Tochter?«
»Nicht sonderlich, um die Wahrheit zu sagen. Deine Geburt war schwer und wehvoll, höchst unerfreulich und deine Gegenwart erinnert mich an die ganzen leidigen Umstände.«
Madouc schürzte die Lippen. »Ich werde sie aus meinem Kopf verbannen, wenn du das gleiche tust.«
Twisk lachte: ein heiteres, silberhelles Geläut. »Brav gesprochen! Meine Laune ist ein wenig aufgehellt! Was führt dich hierher?«
»Der übliche Grund. Ich bedarf deines mütterlichen Rates.«
»Richtig und normal! Schildere deine Not! Es ist doch nicht etwa eine Herzenssache!«
»Nein, Mutter! Ich will nur meinen Vater finden, damit ich endlich meinen Stammbaum
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