Lyonesse 3 - Madouc
ansehnliche Reliquien bieten«, sprach Vater Umphred weise. »Nichts löst die Schnüre der Geldbeutel mehr als eine feine Reliquie! Der König sollte das wissen! Pilger werden den allgemeinen Wohlstand vermehren und damit auch unvermeidlich die Fülle der königlichen Schatullen! Alles in allem betrachtet sind Reliquien eine sehr gute Sache.«
»O ja, wir müssen Reliquien haben!« schrie Königin Sollace. »Wo kann man sie erwerben?«
Vater Umphred zuckte mit den Schultern. »Das ist nicht so leicht, sind doch viele der besten Stücke bereits mit Beschlag belegt. Doch wenn man emsig und beharrlich ist, kann man noch immer an Reliquien kommen: mittels Schenkung, mittels käuflichen Erwerbs, mittels Konfiszierung von den Ungläubigen oder auch manchmal mittels Entdeckung an unerwarteten Orten. Gewiß ist es nicht zu früh, mit unserer Suche zu beginnen.«
»Wir müssen diese Sache in allen Einzelheiten erörtern«, sagte Königin Sollace, und dann, ein wenig barsch: »Ottile, du bist in einem Zustand offensichtlicher Verwirrung! Was ist los?«
»Ich bin verwirrt und bestürzt«, sagte Lady Desdea. »Das ist wohl wahr.«
»Dann berichte uns, was geschehen ist, und wir werden es gemeinsam enträtseln.«
»Ich kann Euch diese Sache nur unter vier Augen enthüllen.«
Königin Sollace zog ein mürrisches Gesicht. »Nun denn, wenn du wirklich meinst, daß solche Vorsichtsmaßnahmen nötig sind.« Sie wandte sich den Damen Bortrude und Parthenope zu. »Wie es scheint, müssen wir Lady Desdea für einmal in ihren Grillen willfahren. Ihr könnt mir später aufwarten. Ermelgart, ich werde läuten, wenn ich dich brauche.«
Lady Bortrude und Lady Parthenope verließen mit hochnäsiger Miene den Salon, gefolgt von der Kammerzofe Ermelgart. Vater Umphred zögerte, doch da er nicht zum Verweilen gedrängt wurde, ging auch er.
Ohne weiteren Verzug schilderte Lady Desdea der Königin den Vorfall, der sie so bekümmert hatte. »Es war Zeit für die Diktionsübungen der Prinzessin Madouc, derer sie dringend bedarf; sie nuschelt und trällert wie eine Straßengöre. Als ich auf meinem Weg zu der Unterrichtsstunde über den Wirtschaftshof ging, wurde ich am Hals von einem Stück faulen Obstes getroffen, das von oben sowohl mit Zielsicherheit als auch mit Kraft herabgeschleudert worden war. Ich bedaure sagen zu müssen, daß ich sofort die Prinzessin verdächtigte, die mitunter zu Unfug neigt. Wie ich jedoch den Blick nach oben wandte, gewahrte ich an der Brüstung Seine Majestät, der mich mit einem höchst seltsamen Gesichtsausdruck musterte. Wäre ich eine phantasiereiche Frau und wäre die Person jemand anderes als Seine Majestät, der natürlich die besten Beweggründe für alle seine Taten hat, würde ich den Gesichtsausdruck als ein boshaftes Grinsen des Triumphes oder – vielleicht exakter – als schadenfrohes Hohnlächeln charakterisieren.«
»Erstaunlich!« sagte Königin Sollace. »Wie kann das sein? Ich bin ebenso verblüfft wie du; Seine Majestät ist niemand, der alberne Possen treibt.«
»Natürlich nicht! Gleichwohl ...« Lady Desdea blickte verärgert über die Schulter, als Lady Marmone in den Salon trat, das Gesicht vor Zorn gerötet.
Lady Desdea sagte ungehalten: »Narcissa, wenn es recht ist, ich erörtere gerade mit Ihrer Majestät eine äußerst ernste Angelegenheit. Wenn du so freundlich sein könntest, einen Moment zu ...«
Lady Marmone, so streng und wacker wie Lady Desdea selbst, machte eine wütende Geste. »Dein Geschäft kann warten! Was ich zu sagen habe, muß auf der Stelle gesagt werden! Vor noch nicht fünf Minuten, als ich den Wirtschaftshof durchquerte, wurde ich an der Stirn von einer überreifen Quitte getroffen, die jemand von der Arkade herabgeworfen hatte!«
Königin Sollace stieß einen krächzenden Schrei aus. »Schon wieder?«
»›Schon‹ oder ›wieder‹, wie immer Ihr wollt! Es geschah, wie ich es geschildert habe! Die Entrüstung verlieh mir Kraft; ich stürmte die Treppe hinauf, in der Hoffnung, den Übeltäter abzupassen, und wer, glaubt Ihr, kommt da aus dem Gang getrabt, fröhlich und lächelnd? Niemand anders als die Prinzessin Madouc!«
»Madouc?«
»Madouc?« schrien Königin Sollace und Lady Desdea wie aus einer Kehle.
»Wer sonst? Sie trat mir ohne den geringsten Skrupel entgegen und bat mich sogar, beiseite zu weichen, auf daß sie ihren Weg fortsetzen könne. Ich aber hielt sie fest und frug: ›Warum habt Ihr eine Quitte wider mich geworfen?‹ Worauf sie in
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