Lyonesse 3 - Madouc
den Rand der Sitzfläche hinaus. Er trug eine Soutane aus braunem Barchent, deren Kapuze er zurückgeworfen hatte. Ein schütterer Kranz aus mausbraunem Haar umringte seine bleiche Tonsur; darunter befanden sich weiche weiße Hängebacken, eine stumpfe Nase, hervorquellende dunkle Augen sowie ein kleiner rosafarbener Mund. Vater Umphreds Posten war der eines geistlichen Ratgebers der Königin; heute hielt er in einer seiner feisten Hände einen Packen Zeichnungen, auf denen Ansichten der neuen Basilika abgebildet waren, die nahe dem Nordende des Hafens erbaut wurde.
Lady Desdea trat vor und hob an zu sprechen, wurde jedoch von einer unwirschen Handbewegung der Königin zum Verstummen genötigt. »Einen Moment, Ottile! Wie du siehst, bin ich mit wichtigen Angelegenheiten befaßt.«
Lady Desdea trat zurück und kaute auf ihrer Lippe, während Vater Umphred der Königin die Zeichnungen der Reihe nach vorhielt, ihr mit jeder einen kleinen Schrei der Begeisterung entlockend. Sie äußerte nur einen einzigen Tadel: »Könnten wir doch nur ein Bauwerk von wahrhaft herrlichen Ausmaßen errichten, eines, das alle anderen auf der ganzen Welt in den Schatten stellt!«
Vater Umphred schüttelte lächelnd den Kopf. »Meine liebe Königin, seid versichert und beruhigt! Der Basilika der Allerheiligsten Sollace, der von den Engeln Geliebten, wird es an frommer Erhabenheit und heiliger Weihefülle wahrlich nicht gebrechen!«
»O wirklich, wird es so sein?«
»Ohne jeden Zweifel! Frömmigkeit und Glaubenseifer werden niemals nach den Kategorien plumper Fülle bemessen! Wäre es so, dann würde eine rohe Bestie aus der Wildnis mehr Beachtung in den Hallen des Himmels erfahren denn ein winziger Säugling, der mit dem heiligen Sakrament der Taufe gesegnet ist!«
»Wie immer setzt Ihr all unsere kleinen Probleme in die rechte Perspektive!«
Lady Desdea konnte nicht länger an sich halten. Sie durchquerte das Gemach und murmelte in Königin Sollaces Ohr: »Ich muß unverzüglich mit Eurer Majestät unter vier Augen sprechen.«
Sollace, die wieder in die Zeichnungen vertieft war, machte eine geistesabwesende Geste. »Geduld, wenn ich bitten darf! Dies sind Diskussionen von ernster Bedeutung!« Sie tippte mit dem Finger auf einen Punkt auf der Zeichnung. »Trotzdem: wenn wir hier noch ein Atrium anfügen könnten, mit den Paramentenkammern zu beiden Seiten anstatt vor dem Querschiff, dann gewännen wir Platz für zwei kleinere Apsiden, jede mit einem eigenen Altar.«
»Meine liebe Königin, folgten wir diesem Plan, dann müßten wir das Mittelschiff um das entsprechende Maß verkürzen.«
Königin Sollace schnaufte verdrossen. »Aber dazu habe ich keine Lust! Im Gegenteil, ich würde es gerne um weitere fünf Ellen verlängern und darüber hinaus auch die Krümmung hier erweitern, an der Rückseite der Apsis! Eine solche Maßnahme würde Platz für ein wahrhaft glanzvolles Retabel schaffen!«
»Das Konzept ist unbestreitbar exzellent«, erklärte Vater Umphred. »Gleichwohl muß ich Euch daran erinnern, daß die Fundamente bereits gelegt sind. Sie gebieten die derzeitigen Dimensionen des Bauwerks.«
»Können sie nicht um ein kleines Stück erweitert werden?«
Vater Umphred schüttelte traurig den Kopf. »Wir sind betrüblicherweise eingeschränkt durch einen Mangel an Geldmitteln! Verfügten wir über unbegrenzten Reichtum, ha!, dann wäre alles möglich!«
»Immer wieder die gleiche leidige Geschichte!« wehklagte Königin Sollace mit düsterer Miene. »Sind diese Maurer und Steinmetze denn so gierig nach Gold, daß sie nicht allein zum Ruhme der Kirche arbeiten wollen?«
»So war es leider schon immer, liebe Frau! Nichtsdestoweniger bete ich jeden Tag, daß Seine Majestät uns in der Fülle seiner Großzügigkeit hinreichende Finanzmittel gewähren wird.«
Königin Sollace ließ ein mürrisches Knurren vernehmen. »Der Glanz der Basilika genießt bei Seiner Majestät nicht den höchsten Vorrang.«
Vater Umphred sprach bedächtig: »Der König sollte ein wichtiges Faktum bedenken. Ist die Basilika erst vollendet, kehrt sich der Strom der finanziellen Gezeiten um. Volk wird von nah und fern kommen, um zu beten und Loblieder zu singen und Geschenke von Gold und Silber darzubringen! Vermittels dieser Gaben erhoffen sie die Dankbarkeit des Himmels für sich zu gewinnen.«
»Solche Gaben werden auch mir Freude bringen, wenn wir damit unsere Kirche mit gebührender Pracht schmücken können.«
»Zu diesem Zwecke müssen wir
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