Lyonesse 3 - Madouc
ausgestattet mit dem dünnen Körper eines Knaben und dem klugen, hübschen Gesicht eines Mädchens. Manchmal bändigte sie ihren Wust von kupferfarbenen Locken mit einem schwarzen Band; ebensooft ließ sie ihn ungestüm über Stirn und Ohren fallen. Ihre Augen waren von einem sanften Himmelblau; ihr Mund war breit und zuckte, verzog sich oder schmachtete im Wechselspiel ihrer Gefühle. Madouc galt als widerspenstig und eigensinnig; zur Beschreibung ihres Temperaments wurden manchmal die Wörter ›wunderlich‹, ›verstockt‹ oder ›unverbesserlich‹ benutzt.
Als Casmir zum ersten Mal die Umstände und Fakten von Madoucs Geburt erfuhr, war seine erste Reaktion Schreck und Entsetzen, dann Ungläubigkeit, und dann eine so rasende Wut, daß es Madouc schlecht ergangen wäre, hätte sich ihr Hals in dem Moment in der Reichweite von Casmirs Händen befunden. Als er sich wieder beruhigt hatte, sah er ein, daß er keine andere Wahl hatte, als gute Miene zu dem Sachverhalt zu machen; in nicht allzu vielen Jahren würde er Madouc sicherlich vorteilhaft verheiraten können.
Casmir verließ den Raum der Seufzer und ging in seine Privatgemächer zurück. Der Weg dorthin führte ihn über die hintere Erhöhung des Königsturms, wo der Korridor sich zu einem gedeckten Gang verschmälerte, von dem aus sich ein Blick aus wohl zwölf Fuß Höhe auf den Wirtschaftshof eröffnete.
Als er an dem Tor ankam, das auf den Kreuzgang führte, hielt Casmir jählings inne. Madouc stand unter einem der Bögen, vornübergeneigt und auf Zehenspitzen, so daß sie über die Balustrade hinunter in den Wirtschaftshof spähen konnte.
Casmir beobachtete sie, die Stirn gerunzelt in jener Mischung aus Argwohn und Mißvergnügen, welche Madouc und ihr Treiben oft in ihm erweckten. Er bemerkte nun, daß auf der Balustrade neben Madoucs Ellenbogen eine Schale mit verfaulten Quitten stand, von denen sie eine niedlich in der Hand hielt.
Casmir sah, wie sie den Arm zurückbog und die Quitte auf ein Ziel unten im Hof warf. Sie blickte ihr einen Moment nach, offenbar, um sich zu vergewissern, ob sie getroffen hatte, dann zog sie sich flugs zurück, vor Vergnügen lachend.
Casmir trat zu ihr und baute sich drohend vor ihr auf. »Was für Possen treibst du nun wieder?«
Madouc fuhr erschrocken herum und stand wortlos da, mit halb offenem Mund, den Kopf zurückgeneigt. Casmir spähte durch den Bogen hinunter in den Wirtschaftshof. Drunten stand Lady Desdea und starrte wütend herauf, während sie sich Quittenstücke vom Hals und vom Schnürmieder wischte. Ihr eleganter Dreispitz saß schief auf ihrem Kopf, offenbar von dem Wurfgeschoß getroffen. Als sie König Casmir von der Balustrade herabblicken sah, fiel ihr vor Verblüffung das Kinn herunter. Einen Moment lang stand sie wie angewurzelt da, vor Schreck regelrecht erstarrt. Dann vollführte sie hastig einen Knicks, rückte ihren Hut gerade und trippelte zurück in die Burg.
Casmir lehnte sich langsam zurück. Er blickte auf Madouc hinab. »Warum hast du Früchte auf Lady Desdea geworfen?«
Madouc sagte harmlos: »Weil Lady Desdea als erste über den Hof kam, vor Lady Marmone.«
»Das ist unerheblich für die Sache!« herrschte König Casmir sie an. »Jetzt glaubt Lady Desdea, ich hätte sie mit faulem Obst beworfen!«
Madouc nickte ungerührt. »Um so besser. So wird sie die Rüge gewiß ernster nehmen, als wenn sie auf geheimnisvolle Weise gekommen wäre, wie aus dem Nichts.«
»Ach ja? Und welches sind ihre Fehler, daß sie einen solch herben Verweis verdiente?«
Madouc blickte erstaunt auf, die blauen Augen weit geöffnet. »Vor allem, Herr, ist sie langweilig undermüdend bis zum Überdruß und redet und leiert fortwährend. Gleichzeitig ist sie schlau wie ein Fuchs und späht um Ecken herum. Außerdem, Ihr werdet es nicht glauben, beharrt sie darauf, daß ich lerne, eine feine Naht zu nähen!«
»Bah!« knurrte Casmir, des Themas bereits überdrüssig. »Dein Gebaren bedarf eindeutig der Berichtigung. Du darfst keine Früchte mehr werfen!«
Madouc verzog schmollend das Gesicht und zuckte die Achseln. »Früchte sind netter als andere Sachen. Ich glaube, daß Lady Desdea ganz bestimmt Früchte lieber wären.«
»Du sollst auch keine anderen Gegenstände werfen. Eine königliche Prinzessin drückt ihren Unmut huldvoller aus.«
Madouc dachte einen Moment nach. »Und wenn nun diese Gegenstände durch ihr eigenes Gewicht fallen sollten?«
»Du darfst keinerlei Substanzen, ob ekelhaft oder
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