Lyonesse 3 - Madouc
Augen waren graublau, seine Züge klar und ebenmäßig. Madouc entschied, daß er nicht nur ansehnlich war, sondern ohne Zweifel auch von angenehmem Wesen. Sie fand ihn auf den ersten Blick liebenswert. Wäre dieser Jüngling Prinz Bittern gewesen, der Gedanke an ein Verlöbnis wäre für sie nicht mehr gar so tragisch gewesen: zwar nicht gerade erfreulich, aber zumindest denkbar.
Der Jüngling sprach vorwurfsvoll: »Du erinnerst dich nicht mehr an mich?«
»Doch«, sagte Madouc. »Aber ich kann mich nicht entsinnen, wo und wann wir uns begegnet sind. Verrat es mir.«
»Wir sind uns in Domreis begegnet. Ich bin Dhrun.«
3
Ruhe war über die Älteren Inseln gekommen. Von Osten bis Westen, von Norden bis Süden, an den Küsten und auf den zahlreichen Inseln – nach turbulenten Jahrhunderten, die geprägt waren von Invasionen, Raubkriegen, Verrat, Fehden, Plünderungen, Brandschatzungen und Mord – herrschte Frieden allenthalben, in Stadt und Land.
Zwei abgelegene Lokalitäten waren davon ausgenommen. Die erste war Wysrod, wo König Audrys scheue Truppen in den dunklen Bergschluchten auf und ab marschierten und die steinigen Höhen durchstreiften in dem Bemühen, die derben und frechen Kelten zurückzuschlagen, die sie von den Bergeshöhen herab verhöhnten und verspotteten und sich wie Geister durch die Winternebel bewegten. Der zweite Brennpunkt des Unfriedens waren die Hochlande von Nord- und Süd-Ulfland, wo der Ska-Renegat Torqual und seine Bande von Mordbuben nach Lust und Laune gräßliche Missetaten begingen.
Ansonsten erfreuten sich die acht Reiche zumindest äußerlich eines guten Einvernehmens. Nur wenige freilich trauten diesem Frieden; die meisten hielten ihn für äußerst anfällig und prophezeiten ihm nur geringe Dauer. Der allgemeine Pessimismus gründete sich auf König Casmirs bekannte Absicht, den Thron Evandig und den Runden Tisch Cairbra an Meadhan – auch die Tafel der Notabeln genannt – an ihren rechtmäßigen Platz im Alten Palas von Burg Haidion zurückzuschaffen. König Casmirs Absichten gingen freilich noch weiter: Er beabsichtigte, die gesamten Älteren Inseln unter seine Herrschaft zu bringen.
Casmirs Pläne waren klar und schlicht. Er würde mit geballter Streitkraft in Dahaut einfallen und versuchen, König Audrys geschwächte Heere in einer schnellen Entscheidungsschlacht in die Knie zu zwingen. Sodann würde er die Kräfte Dahauts mit seinen eigenen verschmelzen und sich mit überlegener Streitmacht gegen König Aillas wenden, mit dem er, so sein Kalkül, dann leichtes Spiel hätte.
Das einzige, was ihn zaudern ließ, war die Politik von König Aillas, dessen Fähigkeiten Casmir zu respektieren gelernt hatte. Aillas hatte erklärt, daß die Sicherheit seines eigenen Reiches, das nunmehr Troicinet, die Insel Scola, Dascinet sowie Nord- und Süd-Ulfland umfaßte, von der separaten Existenz sowohl Dahauts als auch Lyonesses abhinge. Ferner hatte er unmißverständlich klargemacht, daß er sich im Falle eines Krieges unverzüglich auf die Seite der angegriffenen Partei schlagen würde, so daß der Aggressor unweigerlich besiegt und sein Reich vernichtet werden würde.
Casmir gab sich wohl nach außen hin den Anschein von gütiger Neutralität, intensivierte jedoch unverdrossen seine Kriegsvorbereitungen: er verstärkte seine Armeen, baute seine Festungen aus und legte Nachschubdepots an strategischen Punkten an. Zudem begann er, Schritt für Schritt seine Kräfte in den nordöstlichen Provinzen von Lyonesse zu konzentrieren; er tat dies jedoch so bedächtig, daß der Vorgang nicht als offene Provokation betrachtet werden konnte.
Aillas beobachtete all dies mit bösen Vorahnungen.
Er machte sich keine Illusionen hinsichtlich König Casmirs und seiner Ziele; als erstes würde er Pomperol und Blaloc in sein Lager ziehen, entweder durch ein Bündnis, gefördert womöglich durch eine königliche Vermählung, oder durch Einschüchterung allein. Mittels solcher Taktik hatte er sich bereits das alte Königreich Caduz einverleibt, das jetzt eine Provinz von Lyonesse war.
Aillas entschied, daß Casmirs unheilvollem Druck entgegengewirkt werden mußte. Zu diesem Zweck sandte er Prinz Dhrun mit einer angemessenen Eskorte von Würdenträgern zuerst nach Falu Ffail in Avallon, von dort aus zu Gesprächen mit dem trunksüchtigen König Milo nach Twissamy in Blaloc, dann zum Hof König Kestrels zu Gargano in Pomperol. Bei jedem dieser Besuche überbrachte Dhrun die gleiche Botschaft,
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