Lyra: Roman
sicher, alles ist eine Geschichte, eine Lüge kann sich überall verbergen.«
»Klingt sehr vage.«
»Ja, tut es, nicht wahr?« Er lachte schallend. Wurde schnell wieder ernst. »Sie sind mächtig, vergiss das nie!«
Schweigend sahen sie einander an. Die alte Legende und der junge Musiker. Ein Eichelhäher schrie im Wald.
»Wo finde ich die Sirenen?«, fragte Danny.
»Das«, meinte Blake mit erhobenem Zeigefinger, »ist immer die erste Frage, die man stellt.«
»Aber?«
»Du solltest dich fragen, ob du sie wirklich finden willst.« Er zwinkerte ihm zu. »Das ist die Frage, die du dir stellen solltest. Das ist die wichtige Frage, auf die du eine Antwort linden musst. Eine Antwort, die dein ganzes Leben verändern kann.«
Danny starrte ihn an. »Wenn sie die Einzigen sind, die mir helfen können...«
»Sie sind heimtückische Wesen.«
»Okay.«
»Du musst sie gemeinsam mit deiner Frau aufsuchen.«
Danny schluckte. Das könnte sich allerdings schwierig gestalten. »Warum?«
Blake zuckte die Achseln. »Hey, ich bin auch kein Experte in diesen Dingen. Aber was in deiner Frau lebt, ist eine Lüge. Eine Art von böser Magie. Wenn sie dir helfen sollen, dann müssen sie deine Frau sehen. So läuft das, Junge. So lief es schon immer.«
»Wo finde ich sie?«
Tyler Blake zündete sich eine Zigarette an. »Sie leben in Louisiana, einige von ihnen auch in Florida. Im Marschland am Golf, in den Bayous. Irgendwo da unten.«
»Wo genau?«
Er zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht. Aber ich kenne jemanden, der es vielleicht wissen könnte.«
»Wer ist es?«
»Er lebt in New Orleans. Sein Name ist Mr. Jones.«
Danny warf ihm einen skeptischen Blick zu. »Mr. Jones?«
»Ja, Mr. Jones.«
»Klingt irgendwie unecht.«
»Ist aber sein Name, auch wenn er unecht klingt.«
»Wird er mir sagen, wo die Sirenen sind?«
»Das weiß ich nicht. Er ist sehr... eigensinnig. Aber womöglich ja. Er könnte es wissen.«
»Heißt das, Sie sind sich nicht sicher, ob er es überhaupt weiß?«
Tyler Blake sagte nur: »Es gibt keine Gewissheiten im Leben. Alles fließt, in alle Richtungen, Alles verändert sich. Aber... Naja, wenn es jemand weiß, dann ist er derjenige.«
Danny starrte zu Boden. »Wo finde ich diesen Mr. Jones?«
»Geh ins Cafe du Monde. Frag nach ihm. Wenn er will, wird er dich finden.«
»Was hat er mit den Sirenen zu tun?«
»Keine Ahnung.«
»Sie wissen nicht gerade viel.«
»Mr. Jones ist der Mann, der vieles weiß.«
»Klingt vielversprechend.«
»So läuft das in der Welt, Junge. Ich weiß, dass die Welt nicht von einem Gott regiert wird. Aber ich weiß auch, dass sie nicht vom Teufel regiert wird. Die Welt, Junge, ist irgendwas dazwischen. Etwas, was man schwer fassen kann, wie ein Gefühl, das einen ganz plötzlich beschleicht und fort ist, bevor man es schmecken kann. So ist das.« Er drückte seine Zigarette aus, »Mr. Jones wird dich finden oder nicht. Du gehst ins Cafe du Monde, fragst nach ihm, hinterlässt deinen Namen. Wenn er dich findet, dann kannst du ihm die Fragen stellen, die du mir gestellt hast.«
»Hm«, machte Danny, sonst nichts.
Eine Weile saßen sie noch schweigend da und schaukelten in ihren Stühlen, als seien sie auf See, als wären es die Wellen der Ozeane, die tief unter ihnen alles in Bewegung hielten.
»Ich mache dir noch einen Kaffee«, sagte Blake schließlieh, »einen zum Abschied.« Er stand auf, und ohne Dannys Reaktion abzuwarten, begab er sich nach drinnen in die Küche. Danny konnte durch das leicht geöffnete Fenster die Mahlgeräusche der Kaffeemühle hören, das blubbernde Kochen des Wassers auf dem Herd.
Klar, dachtc Danny.
One more cup ofeoffee for the roacl.
Tyler Blake kehrte kurz darauf auf die Veranda zurück. Wieder schwiegen sie, schlürften den Kaffee, der heiß und schwarz war wie die Nacht, da, wo sie am dunkelsten ist.
Dann, nachdem Augenblicke in Stille verweht waren, begleitete Blake seinen Gast zum Tor.
Beide verloren nur die Worte, die nötig waren und die doch alles sagten, was es zwischen ihnen jetzt zu sagen gab.
»Danke«, sagte Danny.
Blake, der jetzt wieder den Hut von vorhin trug, tippte mit dem Zeigefinger an die Krempe. »Bitte«, erwiderte er.
Nur wenige Minuten später, als Danny Darcy den roten Pick-up zurück nach Duluth lenkte, kam es ihm vor, als habe er die letzte Stunde geträumt. Die Stimme des Zimmermanns war noch nicht verhallt, und die Geschichten aus Zeit und Sand hatten gerade erst begonnen, ihre Melodie zu
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