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Lyra: Roman

Lyra: Roman

Titel: Lyra: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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einen Grund geben, so viel ist mal sicher.«
    Danny nickte nachdenklich. Seine Gedanken waren abgeschweift.
    »Glauben Sie, dass die bösen Träume, die eine Sherazade einer Frau gibt, in ihrem Kind fortleben?«, fragte er Blake.
    Die Wipfel der Pinien wankten im Wind. Regen lag in der Luft wie ein leises Versprechen aus der Ferne.
    »Ein kleines Kind«, sagte er, »ist wie ein Schwamm. Es saugt alles auf, was um es herum passiert. Wenn die Eltern sich nicht wirklich lieben, dann wird diese Unruhe das Kind ein Leben lang erfüllen. Glaub mir, junge, ich weiß, wovon ich rede. Das Kind wird gespalten sein, auf immer und ewig. Es sieht in das Gesicht seiner Mutter und erkennt dort nur die Abscheu vor dem Vater. Sieht es in seines Vaters Gesicht, so wird es dort die Wut auf die Mutter erblicken. Daraus entsteht immer ein Zwiespalt, rot und wütend. Das Kind wird niemals wissen, wohin es wirklich gehört. Meine Mutter hat keinen ihrer Männer geliebt, sie waren alle nur da und irgendwann wieder fort.« Er seufzte, rieb sich die müden Augen, »Und schau dir die Menschen an, wenn du in der Stadt bist. Du siehst ihnen an, ob sie Eltern hatten, die sich liebten, oder nicht. Bei Gott, du siehst es ihnen wirklich an. Jedem.«
    »Und die Lüge?«
    »Ist wie ein Gift. Deshalb musst du die Sirenen aufsuchen, gemeinsam mit deiner Frau. Es gibt keinen anderen Weg.« Er lehnte sich vor und flüsterte laut: »Damit wir uns richtig verstehen, ich habe keine Ahnung, was die Sirenen tun werden. Sie sind unberechenbar, seltsam, eigennützig. Aber es ist die einzige Chance, die du ergreifen kannst.«
    Danny nickte. Er sah Sunny vor sich, seine Hand auf ihrem Bauch.
    »Warum ausgerechnet die Sirenen?«, fragte er.
    Blake antwortete schnell. »Man sagt, dass wir von den Sirenen abstammen. Ich habe die alten Bücher gelesen, aber schlauer bin ich dadurch nicht geworden. Homer, Vergil, das ganze Zeug. Leonardo da Vinci schrieb, dass sie des Nachts die Seefahrer in den Schlaf singen, um anschließend an Bord zu klettern und sie zu töten. Und Franz Kafka war davon überzeugt, dass nicht nur ihr Gesang, sondern auch ihr Schweigen tödlich sein kann.« Er lächelte trocken. »Orpheus trat ihnen entgegen, andere auch.«
    »Woher wissen Sie so viel über die Sirenen?«
    »Meine Mutter hat mir immer Geschichten erzählt, ähnlich wie deine es getan hat.«
    »Hm.«
    »Niemand weiß, von wem die Sirenen abstammen. Wie die Götter, so waren sie einfach da. Die Griechen glaubten, sie seien die Töchter des Wassers und der Erde. Andere glauben, dass Himmel und Wasser ihre Eltern sind. Meine Mutter glaubte, dass immer dann, wenn eine Sirene mit einem Menschen ein Kind zeugt, jemand mit unseren besonderen Talenten entsteht. Und dieses Erbe wird dann weitergegeben.«
    »Die Sherazaden stammen also von den Sirenen ab.«
    »Du sagst es. Die Sirenen haben Geschichten gesungen und einen Preis dafür verlangt, seit alter Zeit schon. Sie haben ihre Geschichten gesungen, wie wir es tun. Hey, im Grunde genommen waren die Sirenen die allerersten Songwriter überhaupt.« Er lachte laut auf. »Nun ja, die Logik des Plans liegt also auf der Hand. Wenn wir von den Sirenen abstammen, dann müssten sie doch etwas gegen das tun können, was deine Mutter getan hat.«
    »Sie sind mächtiger als wir, weil wir von ihnen abstammen?« »So läuft das nun mal im Leben, auch bei den mythischen Wesen. Es gibt immer einen größeren Fisch im See. Hast du Ärger, dann such dir den größeren Fisch.«
    »Die Sirenen sind also der größere Fisch.«
    »Sie sind ein größerer Fisch, als ich es bin. Ein größerer Fisch, als du es bist. Und mit Sicherheit sind sie auch ein viel größerer Fisch als deine Mutter.« Blakes Finger trommelten auf der Lehne des Schaukelstuhls.
    »Es gibt wirklich viele Geschichten«, erinnerte sich Blake, »na ja, die gibt es wohl immer. In einer wurden die ersten Sirenen von den tiefen Wassern und dem weiten Himmel in gleichen Maßen erschaffen. Das ist auch der Grund, weshalb sie nur dort leben, wo beide Elemente aufeinandertreffen.«
    »Auf Inseln, in Meerengen.«
    Blake nickte. »In Flüssen und Seen, aber auch in Sümpfen.«
    Danny wartete ab.
    »Sie sollen eine Mischung aus Vögeln und Frauen sein. Gefährlich. Schön. Die alten Mythen besagen, sie seien Wesen, die sich niemals an einen Ort binden. Sie sind zwar Frauen, aber sie fliegen fort, wohin sie nur wollen. Sie sind zwar Erde, aber das Wasser kann jederzeit über sie hinwegfluten. Nichts ist

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