Lyra: Roman
weitere Terrine. »Und, falls Sie es mögen, eine Delikatesse: rohe Austern.«
»Hauptsache, es gibt keinen Kaffee«, murmelte Sunny.
Sie begannen zu essen.
»Es ist Tradition hier«, begann Madame Cacaelia und klimperte mit dem Schmuck an den Handgelenken, »die Gäste, die man geladen hat, zu unterhalten.« Sie schlürfte eine rohe Auster, wie nur eine richtige Dame es tun kann.
»Wir sind gespannt.«
Danny fragte sich, woher er Madame Cal nur kannte. Sie war wie eine uralte Erinnerung. Etwas, was da und doch nicht greifbar war.
»Wir stammen aus Arkadien«, begann Madame Cacaelia, »deshalb leben wir hier im Land der Acadiens, dem Cajun-Country.«
Sunny blickte fragend von ihrer Mahlzeit auf.
»Einst«, fuhr die Sirene fort, »gab es ein fernes Land, hoch in den Bergen der Peloponnes. Drüben, in der anderen Welt, jenseits des Ozeans, jenseits der Zeit, die immerzu fließt.«
»Ah, Griechenland«, seufzte Madame Cal.
»Es war ein prächtiges Hochland, versteckt und nur erreichbar über einen schmalen Zugang im Parnon-Gebirge. Die Menschen, die dort wohnten, waren ein Hirtenvolk, das mit der Natur und den Geschöpfen der Götter in Einklang lebte. Als die großen Kriege die Alte Welt zu erschüttern begannen, da verließen selbst die Götter den Olymp und gingen nach Arkadien.«
Danny fragte sich, wie alt diese beiden Frauen wirklich waren.
»In den alten Zeiten«, schien Madame Cal sich zu erinnern, »als Magie noch greifbar war und die Götter über die Erde wandelten, da lebte in Arkadien ein Gott, der es liebte zu musizieren.«
»Hermes«, übernahm Madame Cal, »so lautete sein Name. Er liebte es, für die Menschen zu singen, und er liebte die Musik, die die Menschen machten. Er verbrachte seine Tage damit, den Menschen zu Diensten zu sein. Er half ihnen bei allem, was sie taten. Und er fertigte Instrumente an, so schön, wie die Welt sie noch nie zuvor gesehen hatte.«
Madame Cacaelia schenkte sich weißen Wein ein. »Eines dieser Instrumente war die Lyra.«
Die Damen wechselten vielsagende Blicke.
»Die Lyra war ein Instrument, mit dem man jeden Zauber wirken konnte.«
»Sagte man.«
»Ja, sagte man.«
»Sie sah aus wie eine kleine Harfe.«
»Nur schöner.«
»Ja, viel schöner.«
»Unvergleichlich.«
»Hermes liebte es, auf der Lyra eigene Lieder vorzutragen und die Menschen zu verzaubern.«
»Der erste Songwriter«, warf Danny ein. Sunny musste grinsen.
»Doch dann«, fuhr Madame Cacaelia fort, »geschah ein Unglück.« Sie stocherte in ihrem Essen herum. »Was ist passiert?«, fragte Sunny.
»Ein junger Mann namens Orpheus verliebte sich. Er war ein gewöhnlicher Hirte, der dort oben im wundersamen Arkadien lebte. Und Eurydike war ein gewöhnliches Mädchen aus dem Nachbardorf. Doch wie auch sonst manchmal, wenn gewöhnliche Menschen einander begegnen, entstand etwas sehr Ungewöhnliches daraus.«
Madame Cal nickte vielsagend.
»Sie entbrannten in Liebe zueinander. Und schon bald feierten sie Hochzeit. Er baute eine Hütte an den Hängen des Parnon.«
»Dort wollten sie leben und glücklich sein.«
»Aber das Schicksal wollte es anders«, erklärte Madame Cacaelia. »Denn eines Tages, als Eurydike arglos über eine Wiese ging, um die Ziegen zu melken, wurde sie von einer Schlange gebissen.«
»Es war einer dieser sinnlosen Zulalle«, bemerkte Madame Cal.
»Sie starb, bevor noch irgendjemand davon erfuhr.«
Orpheus fand sie am Abend und trauerte um sie.
Doch dann, nachdem er einen Traum gehabt hatte, fasste er neuen Mut. Er wusste, dass er ohne Eurydike nicht leben konnte. So beschloss er, bis tief in die Unterwelt hinabzusteigen, um seine Frau zu retten.
»Er war ein mutiger junger Mann. Denn genau das tat er.«
»Ja.« Madame Cacaelia beobachtete Sunny. »Doch vorher wandte er sich an Hermes. Mit einer Bitte. Er wollte die dunklen Wesen der Unterwelt mit seinem Gesang betören und auf diese Weise seine geliebte Frau finden. Deshalb bat er Hermes um die Lyra.«
Und Hermes?
Er gab ihm, nachdem Apollon, sein Halbbruder, sich einverstanden gezeigt hatte, die Lyra.
»Auf ihr würde Orpheus spielen können, um die Kreaturen der Nacht und des Hades zu besänftigen.«
»So stieg er also hinab in die Unterwelt.«
Er beschritt düstere Pfade, die nie zuvor ein atmender Mensch beschritten hatte.
Erblickte Wesen, die nur wenige aus ihren schlimmsten Träumen mit einem Schrei erwachen ließen.
Und er begegnete den Toten, die dort unten ihr Dasein fristeten.
Den Toten, die
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