M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
eigentlich?«
Mia war klar gewesen, wie der Nachmittag laufen würde. Sie hatte sich Antworten zurechtgelegt, die unverfänglich und überzeugend klangen für den Fall, dass jemand aus der Detektei oder von der Polizei noch einmal mit Fragen auftauchen sollte. Auf einen weiteren Anruf von Süden zu warten, hätte sie nicht ertragen, sie hatte kein Interesse, mit ihm zu reden.
Im Gegensatz zu ihrem Vater traute sie Süden zu, dass er das Auftauchen Patrizias erfunden hatte, um sie aus der Reserve zu locken. Was besonders lächerlich wäre, da Süden schon bei der Sache mit dem alten Mann ständig gegen die Wand lief. Trotzdem – und dafür zeigte ihr Vater kein Verständnis – kündigte sie den Auftrag an die Detektei vorerst nicht. Auch wenn sie den drängenden Fragen ihres Vaters ausgewichen war und eine private, nur sie betreffende Angelegenheit aus der Beziehung zu Siegfried machte, ärgerte sie sich über ihre Unentschlossenheit und ihr unvermindertes gefühliges Festhalten an diesem Mann. Da rumorte etwas in ihr, das sie nicht kontrollieren konnte. Wie ein Schmerz, der keine körperlichen Ursachen hatte. Ein Schmerz, den ihr Kopf erzeugte, ihr Bauch und ein Teil ihres Herzens, das ihr nicht mehr gehorchte.
Wenngleich sie nach wie vor die Meinung ihres Vaters teilte, der Überfall auf den alten Mann sei ein Fehler gewesen, hielt sie das Zeichen, das damit gesetzt worden war, letztlich für richtig – genauso wie das Verräumen der jungen Frau mit der Perücke. Ganz eindeutig, dachte sie, war die Mitteilung, Patrizia würde von der Polizei verhört, eine Schutzbehauptung. Und wenn der alte Mann wieder ansprechbar wäre, würde er garantiert niemanden beschreiben können. So unvorsichtig waren nicht einmal Karls tumbe Helfer.
Die Männerhand auf ihrem Oberschenkel ignorierte sie die ganze Zeit. »Ich sitze nicht bei euch«, sagte sie zu Thal. »Ich habe eine Karte für die Gegentribüne.«
»Du kommst zu uns«, sagte er.
»Nein.«
»Hast du Schiss? Denkst du, die kommen und kontrollieren uns? Wir sind hier in Bayern. Der Staat lässt uns in Ruhe. Und der Verein gehört uns.«
Ähnliche Sätze kannte Mia von ihrem Vater, der noch nie in einem Fußballstadion war und selten Spiele im Fernsehen verfolgte. Seine Verbundenheit mit dem TSV 1860 ging auf seinen Vater zurück, der beim Pokalsieg der Mannschaft im Jahr 1942 jedem Spieler im Namen des Führers die Hand geschüttelt hatte. Wie ihr Vater einmal erzählt hatte, war 1860 der Lieblingsverein von Generalfeldmarschall Keitel gewesen, und er fand es deshalb besonders lobenswert, dass die Löwen in ihrer Chronik das Jahr 42 bis heute in Ehren hielten.
An den regelmäßigen Treffen der Kameraden im Fanblock des Stadions nahm Mia allerdings nie teil, weil sie in der Zivilgesellschaft unsichtbar bleiben musste. Außerdem ließ der Verfassungsschutz den Block hin und wieder beobachten, und als stellvertretende Lokalchefin einer Tageszeitung durfte sie auf keinen Fall auf einem Foto auftauchen.
»Lass mich in Ruhe, Schorsch«, sagte sie.
»Ich kenn dich zu lange, Mädchen, du weißt gar nicht, was das ist: Ruhe. Also, hör zu, ich wollt was mit dir besprechen.«
Sie nahm seine Hand von ihrem Bein und lehnte sich ans Fenster. Die Fahrzeuge auf der Autobahn rasten an ihnen vorbei. Regenwasser klatschte gegen die Scheiben.
»Wir wollen in Bayern einen Sanitätsdienst aufbauen«, sagte Georg Thal. »So einen wie in Hessen und Thüringen. Für Veranstaltungen aller Art. Aufmärsche, Kundgebungen, Kinderfeste, mit denen du dich auskennst. Wir dachten an dich als Aufbauhelferin. Du bringst die Dinge voran, du bist vernetzt, du kannst in deiner Zeitung drüber schreiben, ohne dass die Oberbonzen merken, wovon du in Wahrheit redest. So, wie du seit Jahren für uns arbeitest.«
»Ich arbeite nicht für euch, ich arbeite mit euch.«
»Nichts anderes mein ich. National funktionieren unsere Ersthelfer eins a, es sind fast ausschließlich Frauen dabei, und die leisten wirklich viel.«
»Erklär mir nicht unsere Bewegung.«
»Tut mir leid. Wir reden so auf der Tagung, da kommt man so schnell nicht wieder runter. Bist du dabei? Darf ich dich morgen in der Runde vorschlagen als führende Kameradin für den Ersthelfer-Trupp Bayern?«
»Wenn ich den neuen Aktionsbund zum Laufen gebracht habe, überleg ich’s mir. Eins nach dem anderen.«
»Da mach ich mir keine Sorgen. Was plant ihr bei der GDF im Frühjahr?«
»Wissen wir noch nicht. Ich würde gern ein Zeltlager
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