M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
weiße Wollsocken angezogen. Sie fröstelte trotzdem. »Irgendwo hab ich einen Fehler gemacht, und ich weiß nicht, wo. Ich komm einfach nicht drauf. Warum haben die das getan? Und wer?«
Diese Fragen stellte sie dauernd, und Süden gab jedes Mal keine Antwort. »Du musst mir jetzt die Wahrheit sagen.« Patrizia drückte ihre Hand auf seinen Arm. »Was wisst ihr, Edith und du, was ich nicht wissen darf? Wir sind ein Team, du darfst keine Geheimnisse vor mir haben.«
»Wir haben keine Geheimnisse«, sagte Süden. »Edith und ich sind ratlos. Jemand will uns zermürben. Möglicherweise wollten die Täter Leo nicht töten, genauso wenig wie dich. Wir sollen Angst kriegen, den Fall ruhen lassen und alles vergessen, was wir bisher herausgefunden haben.«
»Bei mir klappt das schon, ich hab schon eine Menge vergessen.« Patrizia lächelte, aber es gelang ihr nicht recht.
Süden schwieg. Seit einigen Minuten verspürte er einen solchen Hunger, dass ihm beinahe schlecht wurde. So einen Zustand kannte er nicht. Normalerweise aß er über den Tag verteilt mehrere Mahlzeiten, ohne dabei spitzfindig zu werden. Er pflegte zu essen, was ihm schmeckte, und zu trinken, was notwendig war. Er wandte den Kopf und sah zum Küchenfenster, vor dem es dunkel geworden war. Dann fiel sein Blick auf die halb gegessene Brotscheibe auf Patrizias Teller, und er stand auf. »Hast du ein Bier im Kühlschrank?«
Sie nickte. Als er die Kühlschranktür öffnete, lagen auf zwei Regalen ungefähr zehn Flaschen vor ihm. Er betrachtete sie, spürte die kalte Luft, die ihm entgegenströmte, stand sekundenlang unschlüssig da und schloss die Tür wieder.
»Falsche Sorte?«, fragte Patrizia, nachdem er an ihr vorbei zum Fenster gegangen war und sich zu ihr umdrehte, die Hände hinter dem Rücken.
»Ich habe mich getäuscht«, sagte er.
»Dein Magen knurrt.«
»Geht’s dir besser?«
»Ein wenig. Die Wirkung scheint nachzulassen, von was auch immer.«
»Sollen wir nicht doch zu einem Arzt fahren?«
Sie schüttelte den Kopf, trank einen Schluck lauwarmen Tee.
»Ich möchte gern jemanden herkommen lassen«, sagte er. Sie runzelte die Stirn, was er unter der wieder ordentlich gekämmten Ponyfrisur, deren Fransen über ihren Augenbrauen endeten, nicht sehen konnte. »Einen Mann, von dem ich möchte, dass er uns endlich die Wahrheit sagt.«
»Niemand sagt uns die Wahrheit.«
»Es wäre ein Versuch.«
»Ich weiß nicht, ob ich jemanden sehen will. Könnt ihr euch nicht woanders treffen?«
»Doch«, sagte Süden. »Aber ich möchte, dass er dich in deinem Zustand sieht.«
»Sehe ich so schlimm aus?«
»Du siehst aus wie jemand, der Schlimmes erlebt hat.«
»Hab ich ja auch«, sagte Patrizia. »Ich weiß bloß nicht mehr, was.« Ein Schatten beschwerte ihr Gesicht. »Wer ist der Mann?«
»Ein Polizeibeamter. Er kennt den verschwundenen Taxifahrer. Er weiß mehr über ihn als jeder andere.«
»Der kleine Dicke, von dem du in deinem Bericht geschrieben hast.«
»Ja.«
»Müsste Edith nicht dabei sein?«
»Sie hat viel zu erledigen«, sagte Süden. »Du liegst auf der Couch und hörst zu, mehr nicht. Vielleicht haben wir Glück, und eine Tür öffnet sich.«
»Süden?«
Er sah sie an.
»Wenn ich sterbe, möchte ich, dass ihr meine Asche über dem Meer verstreut, Edith und du.«
Süden schwieg.
»Versprich’s mir.«
Süden ertrug ihren Blick nicht.
»Du musst es mir versprechen. Das ist deine Pflicht.«
Er ging zum Kühlschrank und nahm eine Flasche Bier heraus. »Jetzt leben wir erst einmal«, sagte er.
Wenigstens, dachte Süden, war Welthe ehrlich genug, nach wenigen Minuten am Telefon zuzugeben, dass er über das »Auffinden der Detektei-Mitarbeiterin« bereits informiert worden war. Für ein Hintergrundgespräch sehe er jedoch keinen Anlass, zumal er alles, was »für Außenstehende von Bedeutung« sei, Süden in dem Ramersdorfer Lokal erzählt habe. »Leider« gäbe es »bis dato nichts Neues unter der Sonne«.
Süden widersprach: Sein Kollege Leonhard Kreutzer sei heute Nacht an den Folgen des Überfalls gestorben. Das bedeute, die Detektei werde alles daransetzen, die Täter zu finden, »mit oder ohne direkte Unterstützung durch die Polizei«. Bei Welthe löste die Nachricht offensichtlich eine starke Reaktion aus. Er entschuldigte sich, und Süden wartete eine Zeitlang am stummen Handy, bis der LKA-Kommissar zurückkehrte. »In Gottes Namen, wo genau soll ich hinkommen?«, sagte Welthe. Vierzig Minuten später saß er auf
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