M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
Südens Stuhl am Tisch in Patrizias Wohnzimmer, während die junge Frau auf der gelben Couch lag, eingewickelt in eine rote Decke. Süden stand am Fenster und hielt seinen kleinen karierten Spiralblock in Händen.
Ralph Welthe – braune Cordhose, braunes Sakko, weißes Hemd – saß vornübergebeugt da, sein Bauch wölbte sich auffallend. Er nestelte an seiner Brille und vermittelte den Eindruck eines Mannes in einer extrem unerwarteten Zwangslage, ohne Plan, wie er sich daraus befreien könnte. Dass er den Weg in die Untere Weidenstraße tatsächlich auf sich genommen hatte, wertete Süden einerseits als eine Art Notwehr, andererseits als ein für einen Beamten in seiner Position außergewöhnliches Zeichen von Entgegenkommen. Offensichtlich stimmten, wie Welthe in jener Nacht vor der Kneipe versichert hatte, manche Dinge aus dem Leben der beiden LKA-Kriminalisten, die er zuvor ebenso bereitwillig wie trickreich ausgebreitet hatte, doch mit der Wirklichkeit überein.
»Sie wissen etwas, wir wissen etwas.« Welthe sprach zwischen seinen beiden Zuhörern hindurch, ehe er Süden einen Blick zuwarf und dann Patrizia, die reglos zur Decke schaute. »Niemand hat damit gerechnet, dass eine Detektei auftaucht und nach unserem Kollegen sucht. Ein Wahnwitz. Wie war das möglich?, fragten wir uns. Das heißt, mein Vorgesetzter fragte mich, und am nächsten Tag rief der Staatsanwalt an und verlangte eine Erklärung. Verständlich, er hatte dem Einsatz zugestimmt, und der Richter hatte ihn nach langen Gesprächen genehmigt. Sehr mühsame Vorbereitungen, kann ich Ihnen versichern, und ich gebe zu, ich hatte Bedenken. Ich war besorgt um meinen Kollegen. Sein mit Abstand heikelster Einsatz bisher.«
Süden sagte: »Wie ist sein richtiger Name?«
»Das spielt keine Rolle.« Welthe setzte sich aufrecht hin. Dann krümmte er wieder den Rücken, als säße er so bequemer. »Der Mann riskiert sein Leben, und das hat er schon einmal getan. Sein Verschwinden ist eine Katastrophe für uns, speziell für mich als seinen Freund und, ja, V-Mann-Führer. Natürlich …«
Er hob den Kopf und sah Süden mit einem unruhigen Blick an. »Sie haben eins und eins zusammengezählt, das war mir klar, als ich Ihnen das erste Mal in der Wilramstraße begegnet bin. Als ehemaliger Kollege sind Sie mit unseren Verhaltensweisen vertraut. Das macht die ganze Sache so unheilvoll. Wir bewegen uns auf dem Gebiet des Staatsschutzes, und Sie poltern in eine Undercover-Aktion hinein. Wer ist Süden?, fragt mich der Staatsanwalt. Als er hört, dass Sie ein ehemaliger Kollege sind, überhäuft er mich mit Vorwürfen, wieso ich Ihre Einmischung nicht verhindert hätte. Mein Kollege Hutter nennt Sie gern einen dienstfernen Ex-Kollegen, aber die Dienstferne mancher Staatsanwälte ist immer wieder ein Phänomen.
Jedenfalls stehe ich unter Druck wie noch nie. Sie können sich vorstellen, wie enorm schwer es ist, in die Szene hier in der Stadt und in Bayern überhaupt reinzukommen. Die kennen sich ja alle seit zwanzig Jahren, viele von denen stammen aus anderen Bundesländern und waren immer eng vernetzt. Schleusen Sie da mal jemanden ein, ohne ihn zu gefährden. Das war seine Idee, als Taxifahrer Zugang zur Szene zu finden, und es hat funktioniert. Monatelang haben wir darüber diskutiert. Mein Einwand war, dass Leute aus der rechten Szene normalerweise nicht in ein Taxi steigen, sie haben ihre eigenen Fahrzeuge, ihr eigenes System. Außerdem fehlt den meisten das Geld. Aber Denning sagte … Sie können den Kopf schütteln, sooft Sie wollen, Süden, den Echtnamen verrate ich Ihnen nicht … Denning sagte, er denke nicht an die Kameradschaften oder die sogenannten Freien Netzwerke. Deren Veranstaltungen, sofern wir davon rechtzeitig Kenntnis haben, würde er nicht anfahren, sondern er wolle sich im Umfeld spezieller Burschenschaften herumtreiben. Dort finden regelmäßig Feste statt, die Leute trinken viel, sie haben Geld, sie sind radikal und pflegen enge Kontakte zur rechten Szene.«
»Was ist mit den V-Leuten?« Zum ersten Mal drehte Patrizia den Kopf in Richtung Tisch. »Hätten Sie nicht bei denen andocken können?«
»Nicht zu Beginn.« Welthe legte die Hand an die Wange, zögerte. »Die V-Leute sind doch im Grunde die Gegenseite, jedenfalls von uns aus betrachtet. Sie kassieren Geld vom Staat, liefern Informationen, die man oft nicht überprüfen kann, und riskieren nichts, weil sie Angst vor den eigenen Leuten haben.«
»Sie trauen ihnen nicht«,
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