M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
und steckte die Hand wieder in die Tasche. Seine Stimme klang unverändert, zumindest bildete er sich das ein. »Herr Denning hat eine Lebensgefährtin, ich nicht einmal das.« Er schickte ein Lächeln los, das auf den Gesichtern seiner Zuhörer nichts bewirkte. Vermutlich hatte auch Olaf Schildt nicht einmal eine Lebensgefährtin und wollte in seinem Laden nicht daran erinnert werden.
»Ist sie Ihre Auftraggeberin?«, fragte Welthe.
»Ja«, sagte Süden. Endlich nahm er seine Einkäufe aus dem Korb und legte sie aufs Kassenband. Er bezahlte schweigend, steckte die Sachen in eine Plastiktüte, sah den Mann im Lodenmantel an, dessen Brillengläser inzwischen vollständig unbeschlagen waren. »Sie könnten mir helfen. Sie kennen den Verschwundenen am besten.«
»Ich bin mir nicht sicher.«
»Sie sind mit ihm in die Schule gegangen, Sie hatten einen Stammtisch mit ihm.«
»Das schon.«
»Wo haben Sie sich freitags immer getroffen?«
»Wollen wir nicht woanders weiterreden, in einem Lokal?«
»Hier im Eck ist’s schwierig mit Gastwirtschaften«, sagte Olaf Schildt.
Süden sagte: »Welte wie Welt mit e?«
»Mit h nach dem t. Süden wie Süden?«
»Ich muss noch etwas erledigen. Um neunzehn Uhr kann ich im Gasthaus am Sendlinger Tor sein.«
»Da muss ich überlegen.«
»Überlegen Sie.«
»Neunzehn Uhr? Neunzehn Uhr. Wo noch mal?«
»Gasthaus am Sendlinger Tor.«
»Gibt’s da nur eins?«
»Das Lokal heißt so, auf der Seite vom Kino.«
»Ich werde hinkommen.«
»Ich werde da sein.«
Auf Swahili hätte sich der Dialog für den Supermarktleiter Schildt nicht seltsamer angehört.
7
H ealthy-Welthy existiert nicht«, sagte Patrizia Roos und schob ihren Laptop zur Seite. Vor ihr lag eines der roten Schreibhefte, die sie immer bei ihrer Arbeit benutzte. Blocks oder lose Blätter, wie ihr Kollege Kreutzer sie beidseitig und vollständig beschrieb, brachten sie durcheinander, weil sie die Zettel, die aus geheimnisvollen Gründen jedes Mal unweigerlich auf dem Boden landeten, nie numerierte. »Kein Welthe mit h in München und der näheren Umgebung. Drei Mal Welte ohne h, ein Konditormeister, ein Lehrer, eine Optikerin. Healthy-Welthy hat dich angelogen, Süden.«
Sie waren allein in der Detektei. Kreutzer hatte einen Tipp erhalten, wo sich der gesuchte Mann aus Augsburg, der seinen Unterhalt nicht bezahlte, aufhalten sollte, und war auf dem Weg in ein Restaurant in Moosach. Angeblich arbeitete der Mann dort seit ein paar Tagen als Koch. Süden hatte Mia Bischof in der Redaktion angerufen, um sich mit ihr für 21 Uhr im »Bergstüberl« zu verabreden. Sie zögerte, versicherte, sie würde das Honorar für den heutigen Tag sofort überweisen, und meinte, sie habe Abenddienst und komme nicht vor halb zehn aus dem Büro. Daraufhin schlug Süden 22 Uhr für ein Treffen vor. Er wolle nicht am Telefon mit ihr reden und werde auf jeden Fall auf sie warten, egal, wann ihr Dienst endete. Mia sagte, sie könnten doch auch in der Augustenstraße in der Nähe der Zeitung ein Bier trinken. Süden bestand auf dem Lokal in Neuhausen.
Und nun teilte ihm auch noch Patrizia mit, dass in der Stadt kein Welthe gemeldet sei. »Ich habe ihn nicht nach seinem Beruf gefragt«, sagte er.
Süden saß an der Schmalseite des Tisches. »Telefonnummern haben wir auch nicht ausgetauscht.«
»Wieso nicht? Du hast gesagt, der Typ hätte einen merkwürdigen Eindruck auf dich gemacht. Und wenn er nicht wieder auftaucht?«
»Ich habe nicht merkwürdig gesagt, sondern denkwürdig. Ich musste an meine Ex-Kollegen denken.«
»Er existiert nicht, so viel steht fest.«
»Er existiert, ich habe ihn gesehen.«
»Er hat dich angelogen, er hat dir einen falschen Namen gegeben. Was ist los mit dir? Bist du nicht bei der Sache? Ich hab mir heut früh schon gedacht, irgendwas stimmt nicht mit dir. Schlechtes Wochenende gehabt? Was machst du eigentlich in deiner Freizeit? Du könntest mal ins Grizzleys kommen, da mix ich dir einen Drink zum Glücklichwerden.«
Süden stand auf, sah Patrizia an, die mit gekrümmtem Rücken und schiefem Kopf dasaß. »Ich bin bei der Sache, und die Sache verstört mich.«
»Ist dir noch nie passiert, oder?«
Er ging schweigend zur Tür und kam wieder zurück. Sein weißes Hemd hing ihm am Rücken aus der Hose, und er schnaufte beim Gehen, als bedrückte ihn etwas. »Ich war das ganze Wochenende zu Hause, habe gelesen, Musik gehört, Fußball im Fernsehen angeschaut. Ich denke zu viel an meinen Vater. Dann nehme
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