M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
und entschied, da er schon einmal hier war, ein paar Lebensmittel einzukaufen. Ein weiterer Kunde kam in den Laden und betrachtete unschlüssig die Regale.
Was Süden mehr und mehr beschäftigte, war die Gegend, in der er sich befand.
Mias Aussagen zufolge war Denning vor etwa zwanzig Jahren aus einer Stadt in Süddeutschland nach München gezogen, in welchen Stadtteil wusste sie natürlich nicht. Wo auch immer er gewohnt haben mochte, er hatte ein Geschäft, Kundschaft und Einnahmen. Und vor ungefähr drei Jahren zog er nach Ramersdorf in eine anonyme Siedlung, in der er niemanden kannte und wo er zu niemandem Kontakt aufnahm. Zu seiner neuen Arbeitsstelle musste er quer durch die Stadt fahren, denn ein eigenes Taxi, das er vor der Haustür hätte abstellen können, hatte er nicht.
Was gefiel ihm an dieser Siedlung?, fragte sich Süden. War die Wohnung so preiswert gewesen, dass ihm nach seiner Geschäftsaufgabe keine Alternativen in einem anderen Umfeld blieben? Wer war dieser Mann eigentlich? Welcher Zufall hatte ihn nach Neuhausen geführt, wo er in einer Kneipe Mia Bischof kennenlernte, wie sie Süden erzählt hatte. Nicht, dass Ramersdorf vor begehbaren Kneipen platzte, aber in der einen oder anderen konnte man seine Biere nicht weniger ungestört und zielstrebig trinken wie im »Bergstüberl« in der Nähe des Rotkreuzplatzes. Dort waren Mia und Denning sich zum ersten Mal begegnet. Zu diesem Zeitpunkt, sagte Mia, sei er beinah schon ein Stammgast gewesen.
Ein abseits des Zentrums wohnender und bei einem im Norden der Stadt gelegenen Unternehmen arbeitender Mann führte eine Freizeitexistenz als Stammgast in einem Stüberl westlich des Mittleren Rings, von dem aus er nachts, wenn er Pech hatte, eine Stunde bis in sein Bett brauchte. Für einen erfahrenen und mit allen Toilettenwassern der Stadt gewaschenen Gasthausbewohner wie Süden ergab dieses Leben keinen Sinn.
Von Mutter Schildt ließ er sich jeweils zweihundert Gramm Wurst- und Käseaufschnitt einpacken. Dann nahm er ein Stück Butter aus dem Kühlfach, ein Glas Oliven aus dem Regal und ging zur Kasse, wo sich der Kunde, der nach ihm hereingekommen war, mit dem Inhaber unterhielt. »Wir reden gerade«, sagte Olaf Schildt. »Der Herr hier sucht den anderen Herrn ebenfalls, wie heißt der gleich?«
»Denning«, sagte der Kunde. Er war eher klein und gedrungen, unter seinem Lodenmantel wölbte sich der Bauch, seine grauen Haare waren zerzaust. Er trug eine Brille, deren linkes Glas teilweise beschlagen war, was ihn nicht zu stören schien. Auf Süden wirkte er im ersten Moment wie einer seiner Ex-Kollegen aus dem Dezernat 11, die – ähnlich wie verdeckte Ermittler vom LKA – bei komplizierten Recherchen vor Ort ein leicht verschrobenes, unpolizeiliches Verhalten an den Tag legten, um an Informationen zu gelangen, die sie beim Vorzeigen ihrer Dienstmarke wahrscheinlich nicht erhalten hätten.
»Ich heiße Welthe«, sagte der Mann, nickte Süden zu und behielt seine Hände in den Manteltaschen. Wie wir früher an einem Tatort, dachte Süden: immer darauf bedacht, keine Spuren zu hinterlassen. Er nickte zurück.
»Herr Denning ist ein enger Freund von mir, wir waren gemeinsam auf der Schule.« Er sah den Ladeninhaber und Süden an, als habe er ihnen etwas Kommentierfähiges mitgeteilt. »In Westberlin war das, und wir sind unabhängig voneinander in München gelandet. Ich hab ihn oft in seinem Geschäft besucht und Hosen und Hemden bei ihm gekauft, er hatte gute Ware. Und jetzt treffe ich ihn seit Tagen nicht mehr an. Wir waren letzten Freitag verabredet, wie immer. Wir reden über alte Zeiten. Er hat mich noch nie versetzt. Wenn ihm was dazwischenkam, rief er an, und wir trafen uns am Samstag. Wir haben ja beide sonst keine Verpflichtungen. Und wer sind Sie, bitte? Ein Taxikollege?«
»Tabor Süden von der Detektei Liebergesell. Wir haben den Auftrag, nach Denning zu suchen. Sie sagten gerade, Sie hätten beide sonst keine Verpflichtungen, wie meinen Sie das?«
Welthe nahm die rechte Hand aus der Manteltasche und wischte sich damit über die Wange – eine Geste, die Süden mehr verwirrte als seine launigen Gedanken über die fahnderartige Erscheinung des Mannes.
Offensichtlich musste Welthe einige Sekunden Zeit gewinnen und über seine Bemerkung nachdenken, die eine Unwahrheit enthielt, von der er nicht vermutet hätte, dass jemand sie sofort bemerkte. Wer war der Mann?, fragte sich Süden.
»Wir sind beide nicht verheiratet«, sagte Welthe
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