M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
Krankenhaus angerufen, ohne Neues über den Gesundheitszustand von Kreutzer zu erfahren, und kam erschöpft, hungrig und durstig eine Viertelstunde vor acht in der Ettstraße an. Patrizia war vor ihm da, und als sie ihn sah, nahm sie ihn in eine Bäckerei in der Nähe mit, wo sie ihn zwang, einen schwarzen Tee mit Milch zu trinken, eine Butterbreze zu essen und danach noch ein Croissant. Erfrischt oder wenigstens erholt sah Süden dennoch nicht aus. Aber er fühlte sich wach, und ihm entgingen kein Wort und keine Pause des Kommissars, der ein weinrotes Hemd mit einer blauen Krawatte trug.
Franck hatte eine aufgeschlagene Akte vor sich liegen, die, wenn Süden sich nicht täuschte, aus zwei Blättern bestand. Der Kommissar hatte seinen Besuchern Mineralwasser und Kaffee angeboten, aber die drei hatten nur den Kopf geschüttelt. Also holte er nur für sich eine Tasse Kaffee und setzte sich an den rechteckigen weißen Tisch vor der fensterlosen Wand. »Ich will Sie nicht lange aufhalten«, sagte er.
»Seit sieben führe ich Telefonate, und mit dem Ergebnis bin ich durchaus zufrieden. In mehrfacher Hinsicht. Besonders erleichtert bin ich, weil uns keinerlei Hinweise auf rechtsextreme Verbindungen Ihrer Klientin, Frau Bischof, vorliegen. Sie hat sich auch als Journalistin niemals in dieser Richtung geäußert, sie ist sauber. Selbstverständlich beobachten sowohl das LKA als auch der Verfassungsschutz die einschlägig bekannten Kameradschaften, das Freie Netz Süd und ähnliche Gruppierungen. Rechte Zeitungen wie die ›Deutsche Stimme‹ von der NPD werden genauso aufmerksam studiert wie entsprechende Verlautbarungen im Internet. Das ist logisch.«
Er sah, wieder einmal, Süden an. »Ich soll Sie vom Kollegen Hutter grüßen, und er lässt ausrichten, dass ein Mann namens Denning nicht für das LKA tätig ist. Sie mögen das bitte zur Kenntnis nehmen und abhaken. Wie von Ihnen gewünscht, habe ich mich auch nach einem gewissen Welthe erkundigt, der Mann ist unbekannt, bei uns wie bei den Kollegen.«
»Welche Hinweise haben Sie auf die Täter, die unseren Kollegen halb totgeprügelt haben?«, sagte Edith Liebergesell. Sie trug einen schwarzen Hosenanzug, darunter eine schwarze Bluse und hatte ihre Haare streng verknotet. Je intensiver sie sich bemühte, ruhig zu bleiben, desto angespannter wirkte sie. Ihr helles Gesicht reflektierte ihre Furcht und Wut wie ein Spiegel. Wenn sie redete, brachte sie kaum die Lippen auseinander.
»Die Ermittlungen haben erst begonnen«, sagte Franck. »Wir werten gerade die Spuren an der Schule aus, wo Ihr Kollege lag. Und wir befragen gleich noch einmal das junge Paar, das den Verletzten gefunden hat.«
Patrizia konnte nicht mehr still sein. »Er ist nicht verletzt, er ist fast totgeprügelt worden. Und wieso glauben Sie uns nicht? Tabor Süden ist ein ehemaliger Kollege von Ihnen, und Sie behandeln ihn wie einen Lügner, der sich wichtigmachen will. Nur weil Sie nichts rausgefunden haben, heißt das nicht, dass Herr Süden nicht mit allem recht hat, was er sagt.«
Franck schob die Kaffeetasse beiseite, als könnten seine Worte darüber stolpern. »Eigentlich möchte ich nicht die Formulierung wiederholen, die mein Kollege Hutter gebraucht hat, als wir über Herrn Süden sprachen, aber ganz unrecht hat er nicht. Herr Süden ist ein dienstferner Ex-Kollege, er hat seit Jahren keine Polizeiarbeit geleistet und offenbar manches vergessen, was in unserem Beruf zum Alltag gehört. Kein Problem. Ich sage Ihnen, was ich weiß, und ich bitte Sie, und damit meine ich Sie drei, mir zu glauben. Was den Überfall auf Ihren Kollegen angeht, so werden wir alles daransetzen, den oder die Täter zu finden, und das ist keine Floskel, das ist meine Überzeugung. Soweit wir wissen, auch durch Ihre Aussagen, wurde Herr Kreutzer nicht irgendwo an einer abgelegenen Stelle und mitten in der Nacht angegriffen, eher am Abend, in einem belebten Viertel, vermutlich in Neuhausen. Also wird es Zeugen geben, und die werden sich melden. Morgen erscheinen die Berichte in den Zeitungen, mit einem Foto, wenn Sie das wünschen, und dann, spätestens, wird unsere Fahndung Fahrt aufnehmen, darauf können Sie sich verlassen.«
»Was ist mit der Kneipe, in der Herr Kreutzer war?«, sagte Edith Liebergesell. Süden bemerkte, dass ihre rechte Hand leicht zitterte. Vielleicht brauchte sie einfach eine Zigarette.
»Die Kneipe.« Der Kommissar hob das oberste Blatt seiner Akte, betrachtete das darunterliegende und nickte.
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