M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
rum, zehn Jahre danach. Keine Spur. Ich rufe nicht mehr an, ob es etwas Neues gibt. Was soll es geben?
Manchmal bin ich verzweifelt genug, mich wieder auf die Couch zu setzen und zu grübeln. Wie in den vergangenen drei Tagen. Und wieder ist da niemand, mit dem ich meine Gedanken teilen kann, der sie mir abnimmt und aus dem Fenster wirft, damit ich einen klaren Kopf kriege und wieder in der Lage bin, Entscheidungen zu treffen, meine Schritte abzuwägen, besonnen zu handeln, und nicht überstürzt und von irren Gefühlen geleitet. Klug zu sein, wenn schon so viele andere mir ihre Dummheit aufzwingen wollen.
Deswegen ruf ich jetzt den Süden an, dann setzen wir uns zusammen und besprechen unsere Strategie, wie wir das dem Leo schuldig sind.«
Sie tippte erneut die Nummer in ihr Handy. Patrizia sah ihr dabei zu. »Sein Handy ist aus. Das hab ich ihm doch verboten, dem Sturschädel.«
»Ist das erlaubt?«
»Das Guckloch ist zum Durchgucken«, sagte Süden.
»Schon, aber wir bespitzeln den Mann da draußen.«
»Er ist in eine fremde Wohnung eingebrochen, haben Sie das vergessen, Frau Weisflog?«
14
E r wischte sich über die Wange und überwand innerhalb von Sekunden seine Überraschung. Sein Kollege Hutter hatte ihn vor dem Eifer und der Uneinsichtigkeit des »dienstfernen Ex-Kollegen« gewarnt, doch mit einem derart raschen Wiedersehen hatte er nicht gerechnet. Er nahm die Hände aus den Taschen seines Lodenmantels und nickte der alten Frau und Süden zu. Während er fand, dass die Frau nervös und eingeschüchtert wirkte, machte der Detektiv einen erschöpften, fast enttäuschten Eindruck auf ihn.
»Unverhofft kommt oft«, sagte Ralph Welthe. Er hatte kein Bedürfnis, stehen zu bleiben und eine Erklärung abzugeben. Die Frau, davon war er überzeugt, hatte ihn wiedererkannt, und anscheinend hatte Süden sie so geschickt unter Druck gesetzt, dass sie ihn sofort zu Hilfe geholt hatte. Seit dem Überfall auf den alten Mann geriet die akribisch und mehr als ein Jahr lang vorbereitete Aktion ins Wanken, und niemand wusste bisher genau, woher der Wind wehte. Solange die Kripo noch nicht einmal Beweise dafür fand, dass die Täter tatsächlich aus der rechten Szene stammten, betrachtete das LKA den Vorfall lediglich als massive Störung zum vollkommen falschen Zeitpunkt. Falls es bei solchen Operationen einen richtigen Zeitpunkt für ein unvorhergesehenes Ereignis gab.
Für Welthe, einen der Hauptverantwortlichen, stellte das ständige Herumschwirren von Detektiven eine persönliche Belästigung dar. Sosehr er auch darüber nachdachte, er fand nicht die geringste Erklärung für das Verhalten von Mia Bischof. Inzwischen musste er sogar die Vorstellung verdrängen, sie könnten sich geirrt und an die falsche Person angedockt haben. Unvorstellbar, dachte Welthe dann jedes Mal und zwang sich zur Ruhe.
Jede halbe Stunde sah er auf die Uhr in der Hoffnung, der Kollege Franck von der Mordkommission würde endlich einen konkreten Fahndungserfolg melden. Um ständig erreichbar zu sein, ließ er sein Handy Tag und Nacht eingeschaltet, und es hatte keine zwanzig Minuten gedauert, bis die Kollegen den Besitzer der »privaten Nummer« ermittelt hatten, der ihn in Dennings Wohnung angerufen hatte.
War der Überfall auf den Detektiv Kreutzer eine Art überflüssiges Foul, so kam Welthe Dennings Verschwinden wie eine Blutgrätsche vor, die das komplette Spiel aus den Angeln hob. Plötzlich fiel der wichtigste Mann aus, und das in einem Moment, als es nach einer echten Wende aussah und die Dinge schnurstracks aufs Ziel zuliefen. Stattdessen: eine Katastrophe, deren Ausmaß mit jedem Tag wuchs. Insofern erschreckte ihn Südens Auftauchen im Parterre des Hauses an der Wilramstraße nicht, es nervte ihn nur. Und auch diese Regung wusste er zu verbergen. Zumindest bildete er sich das ein.
»Grüß Gott zusammen«, sagte er.
Süden schwieg. Rosa Weisflog lugte hinter seinem Rücken hervor und sagte: »Guten Abend, Herr Kommissar.« Dann warf sie einen misstrauischen Blick auf beide Männer und knetete weiter das weiße Stofftaschentuch in ihren Händen. Sie hatte ein ungutes Gefühl und wusste nicht, wieso. Welthe sah sie hinter seiner schmucklosen Brille freundlich an.
»Dies ist ein polizeilicher Einsatz«, sagte er. »Sie haben nichts zu befürchten. Die Wohnung im ersten Stock ist bis auf weiteres versiegelt, das braucht Sie nicht zu kümmern. Vergessen Sie, dass ich hier war, und wenn ich noch mal kommen sollte, gibt’s
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