Mabel Clarence 03 - Schatten ueber Allerby
folgenden Tag eintreffen sollte. Mabels Puls beschleunigte sich. Sie wusste, es war weder legal noch moralisch vertretbar, doch der Zufall bot ihr hier die einmalige Gelegenheit, ganz offiziell in Allerby ein und aus zu gehen und Captain Douglas kennenzulernen.
„Lady Jane ist die Schwester des Captains?“, fragte sie Angela in Erinnerung an Michelles Bemerkung über ihre Schwägerin. „Lebt sonst noch jemand im Haus?“
„Jane Carter-Jones ist die ältere Schwester von Lord Douglas“, gab Angela bereitwillig Auskunft. „Sie ist unverheiratet und kümmert sich ebenfalls um ihn. Da sie sich aber in diversen Komitees engagiert, war es leider nicht zu vermeiden, dass sie übers Wochenende zu einem Treffen des Vereins zur Unterstützung der Witwen und Waisen nach Exeter fahren musste, da sie die Vorsitzende ist. Es handelt sich um eine Vereinigung, die sich um die Hinterbliebenen der in Afghanistan gefallenen Soldaten kümmert“, fügte sie erklärend hinzu, als sie Mabels fragenden Blick bemerkte. „Das sind aber auch schon alle, die hier im Haus leben: Captain Douglas, Lady Jane und ich. Na, und jetzt Sie natürlich. Das andere Personal hat eigene Cottages auf dem Grundstück.“
Mabel nickte verstehend. „Ich dachte, ich schaue mir erst alles an, dann hole ich mein Gepäck“, sagte sie ausweichend. „Es könnte ja sein, dass Lord … Captain Carter-Jones mich gar nicht einstellen möchte.“
Angela zog eine Augenbraue hoch und senkte verschwörerisch die Stimme. Mabel konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie plötzlich ein wenig verschlagen wirkte, und die allzu große Vertrautheit, die Angela an den Tag legte, missfiel ihr ebenfalls.
„Der Captain kann froh sein, wenn er jemanden hat, der sich um ihn kümmert. Da kann er keine Ansprüche stellen. Lady Jane ist schließlich auch nicht mehr die Jüngste, obwohl sie rührend für ihren Bruder sorgt. Besonders jetzt, nachdem Lady Michelle …“
Angela brach ab, und Mabel fiel siedend heiß ein, wie Warden erwähnt hatte, die Hausangestellte habe die Tote gefunden, nachdem sie und Jane Carter-Jones die Badezimmertür aufgebrochen hatten. Sofort bedauerte sie die junge Frau. Geöffnete Pulsadern waren nämlich kein schöner Anblick. Im Moment wollte Mabel aber sowieso keine weiteren Fragen stellen, um nicht mit der Tür ins Haus zu fallen. Sollten ruhig alle glauben, die Agentur hätte sie als Pflegerin für Douglas Carter-Jones geschickt. Alles Weitere würde sich zeigen.
„Vielleicht führen Sie mich jetzt zum Captain?“, schlug Mabel vor. „Er soll entscheiden, ob wir miteinander auskommen.“
Angela sah auf ihre Armbanduhr.
„Um diese Zeit ruht er immer, bis ich ihm den Lunch bringe“, sagte sie. „Ich möchte ihn ungern wecken, daher zeige ich Ihnen zuerst Ihr Zimmer.“
Mabel nickte und folgte Angela zu der breiten Treppe, die in elegant geschwungenem Bogen ins erste Stockwerk führte. Dort wandte Angela sich nach rechts. Am Ende des Flures, von dem einige Zimmertüren abgingen, gab es eine weitere, etwas schlichtere Treppe, über die sie ins Obergeschoss gelangten.
„Hier befinden sich die Gästezimmer, obwohl wir nur selten Besuch haben, der über Nacht bleibt“, erklärte Angela. „Lady Jane will keine Fremden im Haus, das hielt Lady Michelle aber nicht davon ab, manchmal Freundinnen von früher einzuladen.“
Mabel erinnerte sich deutlich daran, wie Michelle davon gesprochen hatte, dass das Verhältnis zwischen ihr und ihrer Schwägerin nicht das beste gewesen war.
„Mein Zimmer ist auch hier, gleich das erste auf der linken Seite“, fuhr Angela fort und deutete auf eine Tür.
„Wie lange sind Sie schon auf Allerby beschäftigt?“, fragte Mabel.
„Seit knapp drei Jahren“, gab Angela bereitwillig Auskunft. „Das war noch vor seiner zweiten Ehe. Sie wissen, dass er schon einmal verheiratet war?“
Mabel ließ sich nicht anmerken, dass diese Information neu und interessant für sie war, sondern verhielt sich zurückhaltend. „Die Familienumstände gehen mich nichts an“, sagte sie kühl. „Ich bin hier, um mich um das Wohl des Captains zu kümmern.“
„Da haben Sie auch wieder recht.“ Angela öffnete die letzte Tür auf der linken Seite und ließ Mabel an sich vorbei eintreten. „Ihr Zimmer. Ich hoffe, es gefällt Ihnen. Ich habe es bis in den letzten Winkel geputzt und geschrubbt. Nur frische Blumen habe ich noch keine hineingestellt, ich wusste ja nicht, dass Sie heute schon
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