Mabel Clarence 03 - Schatten ueber Allerby
Sie mir erzählen, wie Sie sich kennenlernten?“, fragte Mabel vorsichtig, um den besonderen Moment nicht zu zerstören.
„Warum nicht? Als ich den Unfall hatte und die Ärzte mir schonend beizubringen versuchten, dass ich nie wieder würde laufen können, da wollte ich nicht mehr. Dachte, das Leben wäre vorbei, und haderte mit dem Schicksal, weil ich nicht gleich gestorben war. Sie müssen wissen, dass ich immer viel Sport getrieben habe. Während meiner Studienzeit war ich in der Rudermannschaft von Oxford, später nahm ich als Springreiter sogar an den Olympischen Spielen teil und verpasste einmal nur ganz knapp eine Bronzemedaille. Mit Ende zwanzig fuhr ich bei der Rallye Paris-Dakar mit. Sie wissen vielleicht, dass bei diesem Rennen Unfälle an der Tagesordnung und oft Tote zu beklagen sind. Nun, ich kam ohne Blessuren ins Ziel. Und dann, vor drei Jahren … Nur weil ein verdammter Reifen platzte, schleuderte der Van einfach auf mich zu … Als Motorradfahrer hat man da keine Chance.“
Schwer atmend lehnte Lord Douglas sich zurück. Die Augen geschlossen, schien er völlig in der Vergangenheit versunken zu sein. Mabel sagte kein Wort. Sie wollte ihn nicht unterbrechen.
Als wäre ein Damm gebrochen, sprach Lord Douglas weiter: „Zwei Wochen war ich schon in der Rehaklinik, bevor man mir Michelle als Physiotherapeutin zuteilte. Zwei Wochen, in denen mir irgendwelche studierten Weißkittel einzureden versuchten, das Leben wäre auch als Krüppel noch schön. Zwei Wochen, in denen ich lernen sollte, mit diesem Ding hier“, hart schlug er mit der Handfläche auf die Lehne des Rollstuhls, „umzugehen. Michelle war im Urlaub gewesen, daher lernte ich sie erst zu diesem Zeitpunkt kennen. Zuerst wollte ich auch auf sie nicht hören, wollte, dass sie mich in Ruhe ließ und einfach wieder ging. Michelle war jedoch hartnäckig. Sie sagte, ich solle mich wie ein Mann und nicht wie ein trotziges Kind benehmen und dankbar sein, noch jeden Tag die Sonne aufgehen zu sehen. Sie war wie die Sonne selbst: Betrat sie mein Zimmer, war es auf einmal heller. Außerdem hatte sie unendlich viel Geduld mit mir. Dabei war sie so resolut und bestimmend wie nie zuvor jemand mir gegenüber. Natürlich wahrte sie den nötigen Abstand, der zwischen Patient und Therapeutin vorgeschrieben ist, und ich verbarg meine Gefühle, denn ich dachte, eine Frau wie Michelle würde nie mehr als Mitleid für einen Krüppel wie mich empfinden. Als ich nach drei langen Monaten endlich nach Allerby zurückkehrte, versprach Michelle, mich zu besuchen. Damals glaubte ich, es wäre nur eine höfliche Floskel, die sie jedem Patienten sagte, und ich würde sie niemals wiedersehen. Doch sie hielt ihr Versprechen, und die Abstände zwischen ihren Besuchen wurden immer kürzer. Bald kam sie einmal die Woche, und dieser Tag war der Lichtblick in meinem Dasein. Manchmal meinte ich zu spüren, ich sei für sie mehr als nur ein Patient oder guter Freund, ich verbot mir jedoch jegliche Annäherung. Es war schließlich Michelle, die mir zuerst ihre Liebe gestand. Dabei war sie ebenso hartnäckig wie als Therapeutin, denn ich ließ nichts unversucht, ihr eine Beziehung zwischen uns auszureden. Ich verschloss mein Herz vor der Tatsache, dass sie mir mehr bedeutete als irgendetwas anderes auf dieser Welt, und wollte auch die Liebe und Zärtlichkeit in ihren Augen nicht sehen.“
Er brach ab, kehrte in die Gegenwart zurück und sah Mabel an. Nach einer Minute des Schweigens fuhr er fort: „Michelle wollte einen Ehevertrag, denn niemand sollte denken, sie würde mich aus anderen Gründen als aus Liebe heiraten. Als ich das ablehnte, wurde sie furchtbar zornig, und schlussendlich gab ich nach. Wenn Michelle mich verlassen hätte, wäre sie ohne einen Penny dagestanden, und wenn ich vor ihr gestorben wäre – was aufgrund des Altersunterschiedes durchaus wahrscheinlich war –, hätte sie nicht mehr als ein Butterbrot erhalten. All diese Leute, die sich das Maul über unsere Ehe zerrissen, hatten ja keine Ahnung!“
„Es tut mir so leid“, wiederholte Mabel und suchte nach den richtigen Worten. „Ich verstehe, dass Sie mit dem Schicksal hadern, und ich werde jetzt auch nicht sagen, Sie müssen nach vorne blicken, denn das Leben geht weiter. Sie werden noch lange trauern und Ihre Frau vermissen; irgendwann jedoch wird der Schmerz nachlassen. Und in Ihrem Herzen wird Michelle immer weiterleben.“
„Pah!“ Lord Douglas schnaubte verächtlich.
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