Macabros 009: Blutregen
daransetzen, ihre Spuren zu verwischen. Sie werden
dann nicht nur ihr Reittier, sondern auch Camilla verschwinden
lassen. Und diesmal für immer.«
»Ich verstehe gar nicht, ich…«
Ein Nebelstreif wischte durchs Zimmer. Macabros verschwand.
Hellmark hatte seinen Doppelkörper aufgelöst.
Christopher Baring war allein mit dem schlafenden Ernie Garet.
*
Atami Chualong wurde durch den Krach wach.
»Was ist denn draußen auf der Straße los?«
fragte sie benommen. Sie teilte das kleine Schlafzimmer mit ihrem
Bruder Nang.
Der Wind rauschte ungewöhnlich stark. Es hörte sich
bedrohlich an.
Die Wellen peitschten gegen das flache Ufer, von dem das kleine
Thai-Haus nicht weit entfernt stand.
Atami glaubte viele Stimmen zu hören, Schreie, Rufe.
Entsetzensschreie.
Das Mädchen warf die leichte Decke zurück, verließ
ihr Lager und eilte an das Fenster.
Von der einen Seite des Hauses konnte man aufs Meer sehen, vom der
anderen Seite auf die Straße, die unmittelbar hinter dem Garten
schnurgerade in die nahe Stadt lief.
Atami stand am weitgeöffneten Fenster, das der Wind vollends
aufgedrückt hatte.
Der Wind pfiff und heulte. Er rüttelte am Dach. Es hörte
sich bedrohlich an. Man mochte meinen, das Dach würde jeden
Augenblick davonfliegen.
Einen solchen Sturm hatte sie schon lange nicht mehr erlebt.
Nang merkte von alledem nichts. Er schlief wie ein Murmeltier.
Atami mußte sich regelrecht gegen die Fenster stemmen.
Die Bö fuhr ihr ins Gesicht, drückte sie zurück.
Wasser spritzte in ihr Gesicht. Die Wolken hingen tief über dem
Meer, das aufgepeitscht war und mächtige, schaumgekrönte
Wellen an das Land warf.
Das Mädchen preßte die Lippen zusammen, als sie sah,
was der Wind da herantrieb.
Fische stiegen aus dem Meer empor, tauchten ein in die riesigen
Wolkenberge, die rasch nähergetrieben wurden.
Die Vision, welche das Thai-Mädchen hatte, war so stark,
daß sie wie in einen hypnotischen Bann geriet.
Wieso waren die Wolkenmassen dunkelrot? Wieso konnten Fische, die
so fürchterlich aussahen, in der Luft schweben? Sie hatte schon
von fliegenden Fischen gehört, aber sie sprangen aus dem Wasser
heraus, flogen viele Meter durch die Luft und tauchten wieder in das
Wasser ein.
Aber hier war das ganz anders.
Diese Fische blieben in der Luft. Der Sturm trieb sie näher.
Ihre gewaltigen Schwanzflossen tauchten in dieses wie Blut aussehende
Wolkenmeer ein wie in einen brackigen Sumpf.
Aber das Aussehen des Himmels und das Heer der Fische waren es
nicht allein, das sie erschreckte. Es gab noch etwas, was sie an
ihrem Verstands zweifeln ließ.
Die Fische waren beritten.
Seltsame, fischähnliche Wesen saßen darauf. In ihren
schuppigen Händen hielten sie gezackte Speere.
Aus der Ferne glaubte Atami Chualong Sirenen zu hören.
Polizei? Feuerwehr? Die Geräusche gingen unter im Wehen des
Sturms.
Und dann ging es Schlag auf Schlag.
Ein neuer Windstoß. Spritzer in das Zimmer. Ein Fisch direkt
vor ihr. Es krachte.
Der Hausgiebel wurde weggedrückt.
Schreiend warf sich Atami Chualong zurück.
Wie von einer Tarantel gestochen richtete Nang sich in seinem Bett
auf. Ehe er begriff, was los war, wurde er schon bei der Hand gepackt
und aus dem Bett gerissen.
»Schnell – es ist furchtbar. Es ist keine Vision, kein
Traum. Es ist Wirklichkeit!« Atami wußte nicht, woher sie
die Kraft nahm, so konsequent zu handeln.
Sie rannte zur Tür.
Hastige Schritte von der anderen Seite des kleinen Korridors.
Die Eltern stürzten aus ihrem Schlafzimmer.
»Wir müssen ins Freie!« gellte Atamis Ruf durch das
Haus.
Schon rannte sie mit dem Bruder an der Hand, der ein Jahr
jünger war als sie, auf die schmalen Treppen zu, die nach unten
führten. Das Haus der Familie Chualong war eines der
ältesten am Platze. Es war eines der wenigen, das fast ganz aus
Holz bestand. Es stand auf mächtigen Pfählen, die es vor
eventuellem Hochwasser schützen sollten.
Atami jagte mit Nang die schmalen Stiegen hinunter.
Windböen warfen sie fast zu Boden.
Überall waren Menschen. Sie liefen auf den Straßen,
suchten sich zu schützen vor den unheimlichen Ankömmlingen
aus dem Meer.
Was für eine Brut spie die Hölle da aus?
Wie kam es zustande?
Jeder stellte sich diese Fragen, niemand fand eine Antwort
darauf.
Alles floh und rannte.
Man versuchte das nackte Leben zu retten. Das traf für viele
im wahrsten Sinn des Wortes auch zu.
Atami und Nang sahen viele Menschen, die keinen Fetzen mehr am
Körper trugen, die
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