Macabros 009: Blutregen
Thai-Mädchen rannte wie von Sinnen weiter. Nur weg von
der Meeresbucht, weiter in das Landesinnere hinein.
Sie tauchte unter dem Fisch weg, der sich erstaunlicherweise auch
gar nicht um sie kümmerte.
Die Unheimlichen hatten es plötzlich sehr eilig, wieder an
Höhe zu gewinnen, in das Wolkenmeer einzutauchen und dort zu
verschwinden wie in einem Sumpf.
Das Mädchen befand sich mitten auf einer
Straßenkreuzung. Auf der einen Seite Gärten, auf der
anderen Reisfelder.
Drei fast völlig vernichtete Wohnhäuser, deren
Dächer abgedeckt waren.
Und da war noch etwas.
Ein Mann, ein Fremder, kein Thai, kämpfte gegen drei der
fischgesichtigen Invasoren aus den Blutwolken.
Er war großgewachsen, blond, breitschultrig.
Hinter ihm, an die Hauswand gepreßt, eine junge Frau
erschöpft, am Ende ihrer Kraft. Die dunklen Haare hingen wirr in
das Gesicht.
Der Blonde hielt die drei Fischgesichtigen in Schach. Es war ihm
gelungen, einen Dreizack zu erobern.
Der Mann befand sich ständig in tänzelnder Bewegung. Die
anderen umringten ihn. Sie wollte an ihm vorbei, wollten die Frau,
das war klar zu erkennen.
Benommen und erschöpft wankte Atami näher.
Sie sah, daß die Fischgesichtigen offenbar unter Zeitdruck
handelten.
Die Luft über der Bucht wurde frei. Mit einem Blick
zurück erkannte Atami, daß in der rotglimmenden Ferne
über dem Meer die Fische wieder in den unergründlichen
Tiefen verschwanden.
Ein Fischgesichtiger jagte auf den tapferen Kämpfer zu. Er
tauchte unter dem blitzschnell herumgezogenen Zackenspeer weg. Aber
der Blonde reagierte genauso schnell.
Seine Rechte sauste durch die Luft. Sie traf den Fischgesichtigen
genau unter dem vorgeschobenen Fischmaul.
Der Getroffene verlor den Boden unter den Füßen.
Er taumelte, flog zurück.
Genau auf das hübsche Thai-Mädchen zu.
Abwehrend streckte Atami beide Hände aus. Da geschah etwas
Merkwürdiges.
Der silbergraue, schuppige Körper wurde plötzlich
durchsichtig.
Das Mädchen sah die Straßenfront dahinter, die helle
Hausfassade, wo die junge Frau mit dem langen, offenen Haar lehnte
und mit angehaltenem Atem den Dingen zuschaute, die sie angingen.
Die Hände des Thai-Mädchens durchstießen den Leib,
ohne daß es den geringsten Widerstand verspürte.
Eine Vision alles, eine grauenhafte Vision! Und nun lösten
sich die Schreckgespenster auf.
Dann war alles nur ein Traum? Dann lebte Vater noch, dann hatte
der schreckliche Fisch ihn nicht gefressen?
Sie warf den Kopf herum.
Der Wind legte sich. Die drei Fischgesichtigen, die den blonden
Ausländer eben noch attackierten, waren verschwunden, als
hätte es sie nie gegeben.
Auch der Speer in der Hand des Blonden war weg. Zurück zogen
sich die Wolkenberge wie zerfließender Dunst. Es regnete nicht
mehr.
Die Luft wurde klar und rein, und das Grauen, das überall
eben noch geherrscht hatte, verschwand. Man konnte wieder atmen, die
Angst wich.
Nun würde sie, Atami aufwachen. Sie würde in ihrem Bett
liegen und…
Das Grauen war zwar weg, aber ein Teil des Traums blieb.
Die zerstörten Häuser, der Blonde, die Frau an der
Hauswand, die selbst nicht zu begreifen schien, daß es nun
tatsächlich zu Ende war.
Atami Chualong drehte sich einmal um ihre eigene Achse.
Warum wichen auch nicht die anderen Bilder?
Der Fremde lief auf sie zu. Er sah, wie das Thai-Mädchen
wankte und plötzlich in die Knie ging.
»Sie brauchen keine Angst mehr zu haben, es ist alles
vorbei!« Sie hörte eine Stimme. Eine fremde Sprache. Sie
verstand diese Worte nicht, aber sie fühlte, daß sie gut
gemeint waren.
Alles war mit einem Male so leicht. Die Erdenschwere verging, sie
wurde aufgehoben. Sie registrierte noch, daß der Fremde sie auf
seinen Armen hielt.
Er hatte sie aufgefangen, bevor sie ohnmächtig zu Boden
stürzen konnte. Atami Chualong fühlte sich geborgen.
*
»Vorbei? Wirklich – vorbei?« Camilla Davies
stieß sich zitternd von der Hauswand ab.
Die Engländerin strich mit einer fahrigen Bewegung das Haar
aus der Stirn. Dabei fiel ihr Blick auf ihre Hände, sie zuckte
zusammen. »Kein Blut mehr?« murmelte sie.
Es war verschwunden – wie der ganze Spuk!
Sie richtete ungläubig ihre Augen auf den Mann, von dem sie
das Gefühl hatte, er sei ein alter Freund. Dabei kannte sie
nicht einmal seinen Namen.
»Sie haben mir zum zweiten Mal das Leben gerettet«,
sagte sie leise.
»Beim erstenmal wußte ich es nur nicht. Es kam mir vor
wie ein Traum. Hätte ich die Zusammenhänge eher
durchschaut,
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